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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

Seine Knie beginnen zu schmerzen, dazu ein stechender Schmerz in der Hüfte. Hoffen und Harren macht Manchen zum Narren. Und noch immer hält der Schwimmer unverändert seine Position, zielt mit seiner Achse auf die Rutenspitze.

 

Irgendwo muss mein großer Fisch sein. Aber vielleicht bin ich nicht so stark wie ich mir einbilde. Und ich kenne auch keine Tricks, die einem beim Angeln helfen können. Alles was ich habe ist ein starker Wille. Und Zähigkeit. Bis zu einem gewissen Grad wenigstens.

 

Dem alten Fischer hat es geholfen, dass er gebetet hat. Vaterunser und Ave-Marias, in einer Tour. Selbstgespräche hat er auch geführt. Er war ja auch mutterseelenallein. Ich hab wenigstens die Jungens.

 

Zuhause werde ich den Roman nochmal lesen. Wahrscheinlich gibt es da einen religiösen Aspekt, den ich seinerzeit nicht bemerkt habe. Bestimmt sogar. Der alte Mann ist gläubig, gut katholisch, also ist es der Verfasser auch. Das Ganze könnte eine Parabel sein. Der alte Mann ist jedenfalls eine echte Leidensfigur. Wird er nicht verhöhnt und verspottet von seinen Kollegen? Trägt er nicht Wunden davon? Die Haie sind natürlich das Böse. Und der Fisch… Der Fisch spielt im Christentum ja eine wichtige Rolle. Neben Lamm und Taube natürlich. Als Symbol für unseren Herrn und Heiland, und als Symbol für die Gläubigen.

 

In der Geschichte wechselt das Meer über den Tag seine Farbe. Himmelblau, dunkelblau, violett. Das Plankton färbt es rot, der Seetang gelb. Der Rhein sieht mehr oder weniger immer gleich grau aus. Hat wahrscheinlich mit der Tiefe zu tun. Ein Fluss ist ja nur eine Pfütze, verglichen mit dem Meer. Komisch, dass es für das Meer mehrere Ausdrücke gibt. Der Ozean. Die See. An der Nordsee sagen sie blanker Hans dazu. Der große Teich. Die Indianer nannten es das große Wasser. Für Fluss kann man auch Strom sagen. Aber damit hat es sich.

 

Auf einmal sieht es so aus, als würde der Schwimmer zittern. Es kann gar nicht anders sein: Etwas Lebendiges macht sich heimlich am anderen Ende der Schnur zu schaffen. Die sichtbare Gier. Die Gier, die blind macht gegenüber Täuschung und Verrat.

 

„Da!“ ruft er mit heiserer Stimme. „Ich glaube, da schnuppert einer am Wurm!“ Geh dran, Fisch. Geh dran. Bitte, geh dran.

 

Gebannt beobachtet er die Bewegungen des schlanken Korks, der für einen kurzen Augenblick mit ganzer Länge unter der Wasseroberfläche verschwindet, bevor er wieder in seine alte Lage zurückkehrt. Und so bleibt er auch.

 

Der Fisch wird doch nicht weg sein? Er hebt die Rute ein Stück an, aber er kann keinen Widerstand spüren. Der hatte wohl nur angefasst. Vielleicht war er früher schon einmal an einem Haken und hat sich daran erinnert. Enttäuscht richtet er sich wieder auf. Komm zurück. Riech doch mal. Lecker Wurm.

 

Ein leichtes Rucken an der Rute lässt ihn erneut aufmerken. Der Schwimmer beginnt, auf der Wasseroberfläche zu nicken und zu kreiseln.

 

„Da, er ist zurück! Er probiert es wieder!“, ruft er in Richtung der Jungen. Starr vor Spannung, mit zusammengekniffenen Augen, verfolgt er den Weg des rot-weißen Korks, der sich wie ein unruhiger Kompass hierhin und dorthin dreht, ab- und wieder auftaucht, erneut verschwindet und samt der Schnur wilde Kurven unter Wasser beschreibt, sodass die Rutenspitze mal in diese, mal in jene Richtung gelenkt wird und die Schnur mal schlaff, mal straff wie eine Bogensehne im Wasser steht. „Da! Er hat angebissen!“

 

„Ja, er hat angebissen“, freut sich Jakob neben ihm und hüpft aufgeregt hin und her. „Du bist ein Glückspilz, Herr Mann Josef!“

 

„Sie“, verbessert ihn Andreas, was Jakob mit einem beleidigten „Jaja, Herr Andreas“ quittiert.

 

„Was jetzt?“ ruft Adenauer in Andreas‘ Richtung.

 

„Kurz anschlagen!“ rät Andreas.

 

„Wie, anschlagen? Mit einem Ruck dagegenhalten?“

 

„Ja, genau.“

 

Natürlich. Man kann nicht siegen in der Defensive; man kann nur siegen in der Offensive. Er schlägt die Rute nach oben, aber seinem Anschlag folgt ein heftiges Plantschen, und mit einem Mal spürt er eine lebendige Kraft, die in die andere Richtung zieht. Die Kraft des unbekannten Gegenüber, das nicht heraus will aus seiner Welt. Muss ein gewaltiger Bursche sein, der mir an die Angel gegangen ist. Plötzlich bekommt er Angst, der Fisch könnte sich losreißen, mit oder ohne Vorfach, oder die Rute könnte durchbrechen. Er fühlt, wie sich überall auf seiner Haut ein dünner Schweißfilm ausbreitet, unter seinem Hut fängt es an zu jucken. Dann sieht er dicht unter der Oberfläche die grünlichen Schuppen eines großen Fischs blinken, und sein Puls gerät aus dem Takt.

 

„Da ist er“, schreit Adenauer. „Ein ganz großer!“ Aus den Augenwinkeln beobachtet er, wie sich Jakob eines Zipfels seines Sommermantels bemächtigt, als würde er sie beide auf diese Weise vor einem Sturz in den Fluss bewahren können.

 

„Ich komme“, ruft Andreas, zieht seine Angel ein und legt sie vorsichtig auf der Buhne ab, während Adenauer mit angehaltenem Atem den Bewegungen des Fischs folgt. Noch fester packt er die Rute, deren Spitze sich wild biegt und windet, die Leine zum Zerreißen gespannt. Wehrt sich nicht schlecht, der Bursche. Muss ein ordentlicher Karwenzmann sein. Will sein Domizil nicht aufgeben. Kann ich verstehen. Wer will das schon. Aber er muss.

 

Schlagartig überkommt ihn die Empfindung einer leichten Übelkeit. Als könne er sie auf diese Weise stoppen, legt er den Handrücken an den Mund. Das Metall am Ringfinger ist angenehm kühl an den Lippen. Das Gefühl flaut ab.

 

Ich muss so lange durchhalten wie der Fisch. Sogar ein kleines bisschen länger, wenn ich ihn besiegen will. Sich bloß nicht die Initiative nehmen lassen. Zieht, ihr Hände. Haltet durch, ihr Beine. Wie im Roman. Dann spuckt er kräftig in den Fluss, wie es der Sonderling vorhin vorgemacht hat. Was für ein kolossaler Blödmann. Hat Scharoun nicht behauptet, Angler hätten eine unzerstörbare gute Laune? Das war wohl früher so.

 

Wenn er sich nur mal zeigen würde. Der Fischer im Roman kriegt seinen Gegner wenigstens ab und an zu sehen. Ein riesiger Fisch, länger als sein Boot, mit einem langen Speer als Nase, die Schwanzflosse wie eine große Sensenklinge. Da kann er sich drauf einstellen. Ich wüsste auch gern, mit wem ich es zu tun habe. Vielleicht ist er kräftig genug, um mich mit einem Ruck ins Wasser ziehen. Ich an seiner Stelle würde es versuchen. Zum Glück bin ich nicht an seiner Stelle. Zum Glück kann er nicht wissen, dass er es mit einem alten Mann zu tun hat. Bestimmt folgt er bloß seinem Instinkt. Mit Instinkt kann ich nicht dienen. Ich brauche einen Plan, sonst verliere ich diesen Kampf. Will ich aber nicht.

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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

Am Ufersaum, dort wo keine Wellen die Befestigung überspült haben, bleibt Adenauer stehen. Rechts in der Ferne quert die Dollendorfer Fähre den Fluss, und vor Mehlem gleitet ein Frachtkahn durch den Strom, dessen Bugwellen uferwärts wandern und sich schwappend an der Buhnenspitze brechen. Adenauer starrt in das schmutzig graue Wasser. Obwohl es hier an der Buhne seicht sein muss, kann er keinen Grund erkennen.

 

„Und jetzt? Einfach rein damit?“

 

„Ja“, ruft Andreas. „Und gut festhalten!“

 

Vorsichtig lässt Adenauer die Schnur ins Wasser gleiten. Sofort nimmt die Strömung den Schwimmer auf und trägt ihn, vom Wellenschlag zum Tanzen gebracht, davon.

 

„Er wird weggespült“, ruft er aufgeregt.

 

„Das macht nichts“, ruft Andreas zurück.

 

Tatsächlich treibt der Schwimmer nur so weit ab, bis er vom Ende der Schnur gebremst wird, wodurch er in Schräglage gerät.

 

Schade, denkt Adenauer. Ohne Strömung würde er jetzt ganz ruhig im Wasser stehen. Das wäre ein schönes Bild. Aber ein Fluss fließt nun mal. Von den Bergen kommt er und zieht aufs Meer zu. Das Fließen macht ja auch seine Anziehungskraft aus. Die Bewegung, die nie zum Stillstand kommt. Das Leben, das darin steckt, das wir nicht fassen können. Was treiben eigentlich die Jungens?

 

Jakob und Andreas sind nur ein paar Schritte von ihm entfernt, aber sie haben sich wieder ihrem eigenen Angelgeschäft zugewendet. Die Überzeugung, ein Stümper und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, verlässt Adenauer nicht. Verdammt, jetzt ist die Rutenspitze ins Wasser eingetaucht. Hoch damit! Kann doch nicht so schwer sein, die Angel in der richtigen Position zu halten.

 

Es heißt Angelsport. Berechtigter wäre es, von Angelspiel zu sprechen. Denn eine Schnur mit einem aufgespießten Wurm am Ende an einem Stock ins Wasser zu tauchen, hat mehr von einem Spiel als von einer Sportart. Was auch ein Glück ist. Hab keinen Spaß an Freizeitbeschäftigungen, bei denen alles bis ins Letzte festgelegt ist. Wo die Regeln das Spiel ausmachen. Deshalb spiele ich auch Boccia und nicht Schach.

 

Flussaufwärts kämpft ein Ausflugsdampfer gegen die Strömung. Die Sonne blendet, und er zieht den Hut tiefer in die Stirn. Vor ihm mitten im Fluss liegt eine langgestreckte Sandbank, an deren Rand Schafgarbe und Gänsekraut blühen. Ein Kormoran trocknet dort seine ausgebreiteten Flügel. Kleine Schwärme Mücken tanzen über dem Wasser.

 

Plötzlich ein kurzes Aufblitzen über der schattenlosen Wasserfläche. Ein Fischleib muss aus dem undurchsichtigen Wasser geschnellt sein; zu flink für seine Augen. Er ist mittendrin in einer Welt, in der es nur so wimmelt vor lauter Leben, und die er bisher nur aus Büchern kannte. Eine geheimnisvolle Welt. Wenig zu sehen, viel zu ahnen. Fische führen ein Leben im Verborgenen. Aus gutem Grund. Warum sich ohne Not im offenen Wasser zeigen? Besser, man hält sich bedeckt. Weiß das. Hab selber eine Zeitlang im Verborgenen gelebt.

 

Sein Blick schweift über die spiegelnde Fläche weiter zum gegenüberliegenden Ufer, dessen Konturen durch einen leichten Dunsthauch verschleiert sind. Zu seiner Linken teilen die Inseln Grafenwerth und Nonnenwerth den Rhein in drei Arme, rechts berühren sich Rüngsdorf und Bad Godesberg.

 

Der rot-weiße Korken verharrt weiter in seiner Schrägstellung. Kein Zweifel: Die Fische müssen auf Wanderschaft gegangen sein. Er hebt die Rute, zieht die Schnur ganz aus dem Wasser und späht nach dem Köder. Er wirkt unberührt. Von neuem setzt er den Schwimmer in den Fluss, der sofort wieder, hastig und hüpfend, flussabwärts drängt.

 

„Die Fische können dich bestimmt sehen, Herr Mann Josef“, mutmaßt Jakob.

 

„Meinst du? Von so tief unten?“

 

„Klar sehen die einen“, bestätigt Andreas. „Fische, die man sehen kann, fängt man nicht. Alte Anglerregel.“

 

„Also klein machen“, sagt Adenauer und geht ächzend in Kauerstellung, den Blick starr auf den Schwimmer gerichtet. „Unter Wasser Hören können sie am Ende auch noch. Also nur Zeichensprache verwenden. – Nein, ich hab bloß Spaß gemacht.“

 

Dieser Anglerroman. War ganz gut. Jedenfalls nicht ganz schlecht. Konnte mich sogar ein bisschen wiedererkennen in dem Romanhelden. Alt, aber gibt nicht auf, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wie hieß er noch? Armando? José? Eine Don Quixote-Gestalt. Wie ich selbst eine bin.

 

Die Geschichte weiß ich noch genau. Ein sehr alter Mann, ein Berufsfischer irgendwo am Golfstrom. Nach Monaten ohne Jagdglück geht ihm endlich ein großer Fisch an die Angel. Ein sehr großer Fisch. Viel zu groß und zu stark für ihn und sein kleines Boot. Ein kluger Angler hätte wahrscheinlich die Schnur gekappt. Klugheit ist immer gut. Auch bei Politikern. Aber Erfahrung ist noch besser. Der alte Mann ist erfahren und sehr geduldig. Drei Tage dauert der Kampf, dann hat er den Fisch besiegt. Kann sich aber nicht lange freuen, weil sich auf der Fahrt nach Hause Haie über den Fang hermachen. Kehrt deshalb am Ende mit leeren Händen zurück. Den Kampf hat er also verloren. Aber im großen, im eigentlichen Kampf, im Kampf mit dem Fisch, da hat er gesiegt.

 

In der Geschichte liegt eine tiefe Wahrheit. Es kommt nicht darauf an, immer zu gewinnen. Entscheidend ist, dass man sich der Herausforderung stellt. Sich dem Schicksal nicht kampflos überlässt. Mit Zähigkeit und Gottvertrauen durchhalten. Sich niemals unterkriegen lassen. Nur so kann man seine Würde bewahren. Wahre Größe zeigt sich darin, wie sich der Mensch in der Niederlage behauptet.

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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

Aktualisiert: 31. Dez. 2024

Auch unter den Anglern gibt es also fiese Typen. Scharoun hat davon nichts erwähnt. Vielleicht wollte er mir nicht den Mut nehmen. Im Grunde wundert es mich nicht. Man spricht ja auch von Angeln als Sport. Und Sport heißt Konkurrenzkampf. Der Kerl hat sich nicht schlechter benommen als der Dicke im Parteivorstand. Kampf um die Vorherrschaft.

 

Zum Glück sind da die Jungens. „Guten Tag, die Herren“, ruft Adenauer.

 

Die Jungen drehen sich um. „Hermann Josef!“ ruft Jakob mit fröhlich strahlendem Gesicht. „Wir haben schon drei Barsche gefangen! Willst du mal sehen?“

 

„Du sollst nicht Du zu Erwachsenen sagen, sondern Sie“, ermahnt ihn Andreas. „Und Herr! Und Ihnen!“

 

„Jajaja“, grummelt Jakob beleidigt. „Guck mal, Herr Mann Josef!“

 

„Er kapiert es einfach nicht“, stellt Andreas resigniert fest.

 

„Hier bitte“, sagt Jakob und hebt stolz den Deckel vom gelben Plastikeimer.

 

„Donnerwetter“, sagt Adenauer anerkennend, nachdem er einen kurzen Blick auf die Ausbeute geworfen hat. „Ich hoffe, dass ihr noch ein paar Fische für mich übriggelassen habt.“

 

„Warum denn, Sie? Herr Mann Josef? Willst du etwa auch angeln?“

 

„Was glaubt ihr, warum ich hier bin? Schaut mal, was ich habe“, sagt Adenauer und öffnet seine Aktentasche.

 

„Angelzeug“, stellt Andreas mit einem kurzen Blick fest.

 

„Ich dachte, dass ihr mir vielleicht beim Zusammenbauen helfen könnt.“

 

„Klar. Halt mal“, sagt Andreas und drückt seinem Bruder die Rute in die Hand.

 

Adenauer reicht ihm den Inhalt der Tasche, den Andreas fachmännisch kommentiert: „Eine Rute, zerlegt, Aufwinder mit Schnur, drei Vorfächer, drei Schwimmer, ein Bleigewicht, Bleischrot, ein Vierer-, ein Sechser-, ein Achter-Haken.“

 

 „Und alles für 9 Mark 95!“, erklärt Adenauer.

 

„So teuer?“

 

„Dafür ist sie aber auch fast acht Meter lang. Also mit der Schnur zusammen. Damit kommt man doch ganz schön weit rein in den Rhein.“

 

„Rein in den Rhein“, wiederholt Jakob und hüpft, Andreas‘ Angel in der Hand, ein Stück Richtung Fluss. „Hahaha. Rein in den Rhein.“

 

Andreas steckt die drei Bambusstangen zusammen, wickelt ein Stück Schnur vom Aufwinder, zieht nach kurzer Überlegung den stabförmigen der drei Schwimmer auf und drückt, eine Handbreit unterhalb des rot und weiß gefärbten Korks, fünf von den kleinen, in der Mitte gespaltenen Bleikugeln in gleichmäßigem Abstand auf der Schnur fest zusammen. Dann nimmt er das Ende der Schnur und verbindet sie mit einem Vorfach. „Das macht man“, erklärt er, „damit man nicht die ganze Schnur verliert, wenn sie sich irgendwo verheddert. Das Vorfach ist dünner und reißt schneller. Wenn das passiert, ist nur der Haken futsch.“

 

Adenauer nickt anerkennend. „Das ist weitsichtige Politik. Das Risiko so klein wie möglich halten.“

 

Zum Schluss bindet Andreas sorgfältig den Sechserhaken ans Ende des Vorfachs, wickelt die restliche Schnur vom Aufwinder und befestigt das andere Ende an der Rutenspitze.

 

„Wenn Sie fertig sind, nachher“, sagt Andreas und drückt Adenauer den Aufwinder in die Hand, „haken Sie den Haken hier oben ein. Dann können Sie die ganze Schnur aufwickeln.“

 

„Mitsamt dem ganzen Gedöns?“

 

„Klar. Weil: Das Blei stört nicht. Und den Schwimmer können Sie ja verschieben, bis er genau an der richtigen Stelle sitzt. Den Aufwinder machen Sie mit einem Gummiband an das dünne Ende dran. Beim nächsten Mal geht es dann ruckzuck. – Und womit angeln Sie?“

 

„Wie bitte? Na, mit der Angel hier.“

 

Andreas lächelt. „Nein, welchen Köder haben Sie dabei?“

 

„Ach Gott. Weißt du was? Ich habe gar nicht an Köder gedacht. Der Verkäufer ging wahrscheinlich davon aus, dass ich die im Garten ausgrabe.“

 

„Wir können dir welche von unseren abgeben“, bietet Jakob an.

 

„Sie, Ihnen, Herr!“, verbessert ihn Andreas.

 

„Sie Ihnen abgeben, Herr Mann Josef“, wiederholt Jakob. „Wir haben Regenwürmer und Maden. Ganz eklige Maden, aus dem Mistbeet von Frau Rixen. Willst du die vielleicht mal sehen?“

 

„Ich kann mich beherrschen“, sagt Adenauer und schneidet eine Grimasse.

 

„Wir haben auch andere Köder“, erklärt Andreas. „Hier in dem Döschen sind Würmer. Da drin sind Fliegen.“

 

„Die sind aber nicht echt!“ schreit Jakob dazwischen.

 

„Nicht echt?“ wundert sich Adenauer.

 

„Nein“, bestätigt Andreas und öffnet das Döschen. „Die sind aus Plastik. Sehen Sie das kleine Loch? Da wird die Angelschnur befestigt. Dann kann man die Fliege durchs Wasser ziehen.“

 

„Manche Fische fallen darauf rein“, bestätigt Jakob. „Manche aber auch nicht. Das sind die Oberschlauen.“

 

„So, so. Und was macht man bei den Oberschlauen?“

 

„Für die nimmt man echte Fische.“

 

„Sardinen wahrscheinlich“, sagt Adenauer. „In dem Roman, den ich mal im Urlaub gelesen habe, hat ein alter Mann Sardinen als Köder genommen.“

 

Andreas bedenkt ihn mit einem mitleidigen Blick. „Sardinen gibt es nur im Meer. Wir nehmen kleine Weißfische.“

 

Das Balg hält mich für geistig zurückgeblieben, denkt Adenauer. Das habe ich jetzt davon, dass ich mit meiner Romanlektüre gestrunzt habe. „Na gut“, sagt er. „Und wie kommt ihr an die dran?“

 

„Wir fangen sie mit dem Netz“, erklärt Andreas.

 

„Das kann ich machen, Herr Mann Josef!“ schreit Jakob.

 

„Die werden auf den Haken gesteckt und dann lässt man sie einfach von der Strömung treiben. Darauf beißen die Großen. Hechte, Zander… Manchmal auch Barsche.“

 

„Und worauf soll ich angeln?“

 

„Ich würde sagen: auf Rotaugen.“

 

„Hmm. Rotaugen. Ob die bei mir anbeißen?“

 

„Bestimmt. Davon gibt es viele im Rhein.“

 

„Sind die groß?“

 

„So mittel.“

 

„Und mit welchem Köder?“

 

„Mit Wurm. Darauf beißen die meisten Fische.“

 

„Gut. Wurm ist mir am liebsten. Mit dem bin ich vertraut.“

 

„Wieso denn?“ fragt Jakob. „Essen Indianer Regenwürmer?“

 

„Nicht dass ich wüsste“, antwortet Adenauer. „Ich will damit nur sagen: Der Regenwurm ist unser Freund. Im Garten ist er sehr nützlich. Und man kann ihn gut anfassen. Er hat so gar nichts Ekliges.“

 

„Stimmt“, pflichtet ihm Jakob bei.

 

Andreas öffnet das Döschen und zieht mit zwei Fingern einen kleinen Wurm heraus, nimmt den Haken zwischen zwei Finger der anderen Hand und schiebt den Wurmkörper vorsichtig auf das goldgelb blinkende Metall.

 

„Das tut ihm bestimmt weh, oder?“, fragt Jakob, ohne den Blick vom Wurm zu wenden.

 

„Na ja“, erwidert Adenauer. „Mit Speck fängt man Mäuse. Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass Regenwürmer ziemlich robust sind. Wenn man beim Umgraben mal einen aus Versehen halbiert, werden daraus zwei neue.“

 

„Fertig“, verkündet Andreas und reicht Adenauer die Angelrute, die steil nach oben zeigt. „Vorsicht mit dem Haken! Sie müssen die Angel immer hochhalten, damit die Angelschnur nicht auf dem Boden schleift.“

 

„Danke sehr“ sagt Adenauer. Jakob und Andreas sehen ihm zu, wie er sich, den Spazierstock in der linken, die Rute in der rechten Hand, auf den Fluss zu bewegt; vor ihm in Kniehöhe pendelt das Vorfach mit dem Köder am Haken.

 

„Hoffentlich fange ich heute mehr als nur einen Wurm“, ruft er den Jungen über die Schulter zu.

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