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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

„Und wie heißt Du?“ fragt Jakob und stupst Adenauer vorsichtig an.

 

„Ich? Na… Hermann Josef“, antwortet er nach kurzer Überlegung. Es ist die Wahrheit, wenn auch nicht die ganze.

 

„Das ist aber kein Indianername.“

 

„Stimmt“, räumt Adenauer ein. „So heiße ich nur, wenn ich in Deutschland bin. Meine Leute drüben kennen mich als Häuptling Layadaholu. Das ist indianisch und heißt Weiser Anführer.“

 

„Du, Hermann Josef…“ sagt Jakob zögernd, „als du noch Indianerhäuptling warst…“

 

„Ja“, seufzt Adenauer. Nun bereut er es doch, das Indianerthema angeschlagen zu haben.

 

„Hast du da oft kämpfen müssen?“

 

„O ja!“

 

„Eine Million Mal?“

 

„So ungefähr.“

 

„Au au au au“ ruft Jakob und hüpft vor Aufregung hin und her, woraufhin der Kater erneut Adenauers Nähe sucht, der ihn geduldig an seinem Gehstock schnüffeln lässt.

 

„Ohne Kampf ist das Leben ja auch langweilig“, erklärt Adenauer. „Wenn man den Kampf verliert, ist das natürlich bitter. Aber besiegt zu werden, ist kein Unglück. Wichtig ist, dass man den Kampf annimmt und sein Bestes gibt, um zu gewinnen. Und wenn man tatsächlich siegt… Ja, das ist herrlich. Und selbstverständlich waren nicht alle Kämpfe so schwer wie der gegen den Dampfenden Büffel.“

 

„Warum denn?“ fragt Jakob.

 

„Dazu müsst ihr folgendes bedenken: Bei uns Indianern wird der Häuptling alle vier Jahre von einer Ratsversammlung gewählt. In der Ratsversammlung zu sitzen ist eine hohe Ehre. Aber der Dampfende Büffel war damit nicht zufrieden. Er wollte noch höher hinaus. Vor lauter Ehrgeiz konnte er schon nicht mehr schlafen. Immer dachte er nur daran, was er noch mehr werden könne.“

 

„Wie beim Fischer und seiner Frau!“ ruft Jakob aufgeregt.

 

„Genau“, pflichtet Adenauer ihm bei. „Eines Tages kam er zu mir und sagte –“

 

„Ich will werden wie der liebe Gott!“ schreit Jakob dazwischen.

 

„Mensch Jakob, halt doch die Klappe“, schimpft Andreas. „Ich will hören, wie es weitergeht!“

 

„– kam er zu mir und sagte: ‚Pass mal auf, Layadaholu, du bist schon alt und wir müssen demnächst einen Nachfolger für dich wählen. Von allen in der Ratsversammlung bin ich derjenige, der am längsten dabei ist, deshalb habe ich Anspruch darauf, Häuptling zu werden.‘“

 

Diesmal ist es Andreas, der es genauer wissen will. „Und was haben Sie dann gesagt?“

 

„Ich hatte berechtigte Zweifel daran, dass der Dampfende Büffel ein guter Häuptling sein würde. Ich kannte ihn ja schon viele Jahre aus den Ratsversammlungen. Ein Häuptling darf sich nicht nur um das eigene Wohlergehen und das seines Stammes kümmern. Er muss auch ein gutes Verhältnis zu den Nachbarstämmen pflegen. Also, um es mal bildlich auszudrücken: Nicht immer nur dicke Zigarren, sondern ab und zu auch mit den anderen Stammesführern die Friedenspfeife rauchen. Ohne deren Vertrauen können wir unser Land gegenüber unseren Feinden nicht halten. Wir alle brauchen Freunde, dass wisst ihr doch auch.“

 

Die Jungen nicken. Dass gleichzeitig der Kater miaut, ist nur dem Zufall geschuldet.

 

„Und nicht genug“, fährt Adenauer fort, „dass der Dampfende Büffel in meinen Augen unfähig war, die alten Bündnisse zu pflegen – er war auch drauf und dran, sie regelrecht zu untergraben, mein Lebenswerk zu zerstören. Außerdem war ich überzeugt, dass es dem Dampfenden Büffel an Kraft und – ja, auch an Strenge mangelte. Ein Häuptling muss streng sein, sonst wird ihm das von den eigenen Leuten als Schwäche ausgelegt. Und dann tanzen sie einem auf der Nase herum. Respekt hat man immer nur so viel, wie man sich selber verschafft. Das habe ich dem Dampfenden Büffel auch alles genau so gesagt, und seitdem waren wir Gegner. Oh ja, wir haben oft die Klingen gekreuzt. Lange war ich der Sieger. Aber eines Tages war es dann doch soweit. Da hatte er die Mehrheit der Stimmen in der Ratsversammlung und wurde zum Häuptling gewählt, ohne dass ich es verhindern konnte.“

 

„Aber wie hat er das geschafft“, fragt Andreas. „Wenn Sie doch der Häuptling und außerdem stärker als er waren?“

 

Der unvermutete Scharfsinn macht Adenauer vorübergehend sprachlos. Dann nickt er anerkennend. „Das ist eine sehr gute Frage, Andreas. Wie alt bist du?“

 

„Elf“, sagt Andreas.

 

„Erst elf, aber klüger wie manch einer, der von sich behauptet, er verstünde etwas von Politik. – Ja, wie hat er das geschafft? Es war kein offener Kampf. Mehr so… hintenherum. Als Häuptling hat man jeden Tag viele wichtige Dinge zu erledigen. Da kriegt man so manches, was sich hinter seinem Rücken tut, nicht mit. Ich habe einfach nicht gemerkt, dass der Dampfende Büffel und seine Freunde mich abhalftern wollten.“

 

„Was ist abfaltern?“ fragt Jakob.

 

„Abhalftern, das heißt soviel wie: zum alten Eisen werfen. Abservieren. Kaltstellen…“

 

„Das ist gemein!“ ruft Jakob.

 

„Ja, ist es“, erwidert Adenauer und starrt düster vor sich hin. Für einen Moment versinkt er in Schweigen. War bestimmt kein Zufall, dass sofort ein Schlager herauskam, wo es im Refrain hieß, der Herr mit dem Pepitahut würde jetzt ‘ne ruhige Kugel schieben. Also ich. Den Text soll ein Berliner geschrieben haben. Wundert mich nicht im Geringsten. Zum Glück ist die Musik so miserabel, dass das Lied kaum im Radio gespielt wurde. Trotzdem wird es augenzwinkernd hinter meinem Rücken gesungen. Warum, lieber Gott, hast du mir das Gift der Gehässigkeit in so großen Portionen zukommen lassen? Aber ich weiß schon, es sind die Prüfungen, aus denen Stärke erwächst. Erstaunlich, wie verdammt lebendig die Gefühle der Vergangenheit nach so langer Zeit noch sind. Die tiefsten Wunden heilen wohl nie. „Aber natürlich gibt auch noch höhere Dinge als wie Kampf“, sagt er schließlich.

 

„Was denn zum Beispiel?“ fragt Andreas und zieht den Kater, der vor Langeweile angefangen hat, das Netz mit den Pfoten hin und her zu schieben, näher zu sich heran.

 

„Arbeit.“

 

„Ach so“, sagt Andreas.

 

„Nicht: ach so“, sagt Adenauer. „Auch ein junger Mensch kann schon seine Pflicht erfüllen. Brav zur Schule gehen, fleißig lernen, Schularbeiten machen.“ Der Gedanke lässt ihn stutzen. „Wieso seid ihr eigentlich nicht in der Schule?“

 

„Wir haben doch noch Ferien. Und mein Bruder –“

 

„Ich muss noch nicht zur Schule!“ kräht Jakob dazwischen. „Weil ich noch nicht sechs bin. Vier, fünf, sechs!“ Jede Zahl betont er durch einen Hüpfer. Danach wird er von einem neuen Hustenanfall geschüttelt.

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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

„Seht mal hier“, sagt Adenauer und präsentiert den beiden Jungen mit ausgestreckten Armen seinen Spazierstock. „Den habe ich aus Amerika mitgebracht. Der ist auch indianisch. Woran erinnert er euch?“

 

Beide heben ratlos die Schultern.

 

„Habt ihr mal von Winnetous Silberbüchse gehört?“

 

Die Erwähnung des Namens Winnetou lässt die beiden auf der Stelle zusammenzucken.

 

„Ist das auch – Silber?“ fragt der Große scheu.

 

„Das will ich meinen. Ihr könnt ihn ruhig anfassen.“

 

Andächtig streichen beide mit den Fingern über die von der Spitze bis zum Knauf reich mit Silber verzierte kaukasische Handarbeit.

 

„Das sind die gleichen Silbernägel“, erläutert Adenauer, „mit denen auch Winnetous Waffe beschlagen ist. Der Stock soll seinem alten Lehrer gehört haben.“

 

„Klekih-petra“, murmelt der Große.

 

„Jawohl. Beweisen lässt es sich natürlich nicht. Aber es wurde mir so gesagt.“

 

„Und warum sollte man Sie anlügen“, stimmt der Große zu.

 

„Genau. Indianer reden nicht mit gespaltener Zunge. Das tun nur Bleichgesichter. Manche jedenfalls. – So“, beschließt Adenauer das Thema, „jetzt habe ich euch aber genug aus meinem Indianerleben erzählt.“ Die Stockspitze zielt auf den Kleinen. „Du bist also Konni. Und wie alt bist du?“

 

Der Junge schüttelt den Kopf. „Nein, ich bin Jakob. Und ich bin so.“ Er streckt eine Hand in die Höhe und zeigt vier Finger.

 

Adenauer bewegt den Stock in Richtung des Älteren.

 

„Ich heiße Andreas“, sagte der und hebt abwehrend die Hände.

 

„Und wer ist dann Konni?“

 

„Der Kater heißt Konni“, sagt Andreas.

 

„Ach ja!“ sagt Adenauer. Jetzt wundert er sich nicht mehr, dass das Tier sich so zu ihm hingezogen gefühlt hat.

 

„Als Papa ihn mitgebracht hat, hieß er noch Adenauer“, fügt Andreas hinzu.

 

„Was?“ Augenblicklich wandert der Spazierstock in Brusthöhe. „Adenauer?“

 

„Ja. Weil er schwarz wie Adenauer ist“, erklärt Jakob. „Hat Papa gesagt. Aber Mama war dagegen.“

 

„Ich bin auch dagegen“, sagt Adenauer und wippt nervös auf den Zehenspitzen hin und her.

 

„Wieso?“

 

„Weil das kein Name für einen Kater ist. Was soll das überhaupt heißen, Adenauer?“

 

Jakobs Kopf versinkt zwischen den hochgezogenen Schultern. „Weiß ich nicht. Papa sagt öfter solche Sachen.“

 

„Was denn zum Beispiel?“

 

„Mal überlegen“, sagt Jakob.

 

„Zum Beispiel: Frech wie Oskar“, kommt ihm sein Bruder zu Hilfe. „Das sagt er manchmal zu dir.“

 

„Gar nicht!“, protestiert Jakob und zieht eine Schnute.

 

„Sagt er doch. Wir kennen aber keinen Oskar.“

 

„Einen Oskar gibt es bei uns nicht“.

 

„Oder er sagt: Hässlich wie die Nacht“, fährt Andreas fort.

 

„Das habe ich auch schon mal gehört“, sagt Adenauer.

 

„Frau Rixen ist hässlich wie die Nacht“, bestätigt Jakob.

 

„Wer ist Frau Rixen?“

 

„Die wohnt bei uns unten im Haus.“

 

„Also die Frau Rixen gibt es“, stellt Adenauer fest.

 

„Leider“, sagt Andreas. „Wegen Frau Rixen wollte meine Mutter nicht, dass er Adenauer heißt. Sie hat gesagt: Er heißt Konni, oder wir geben ihn zurück, und damit basta.“

 

„Eine weise Entscheidung. Eure Mutter scheint eine kluge Frau zu sein. Und auf welchen Namen hört das Katzenvieh jetzt?“

 

„Auf keinen“, sagt Andreas kleinlaut.

 

„Das habe ich gemerkt. Abgesehen davon führt man eine Katze doch nicht spazieren.“

 

„Konni ist ein Kater!“, verbessert ihn Jakob.

 

„Egal, was er ist. Das hab ich ja mein Lebtag noch nicht gesehen… Ein Kater an der Leine!“

 

„Das ist auch bloß wegen Frau Rixen“, erklärt Andreas. „Sie erlaubt nicht, dass wir ihn draußen rumlaufen lassen, weil sie Angst hat, dass er dann sein Geschäft bei ihr im Garten macht und den Vögeln am Futterhäuschen auflauert.“

 

„Ja, das ist dem Schlawiner zuzutrauen. Ich glaube, Konni ist der passende Name für ihn.“

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AutorenbildJan-Christoph Hauschild

Aus Richtung Parkeingang kommt etwas Schwarzes mit kurzen Sprüngen auf Adenauer zu gehetzt, hinterdrein ein Kind. Wahrscheinlich ein ungehorsamer Hund. Mit Hunden versteh ich mich gut. Hab nach dem Krieg immer einen gehabt, erst Rolf, dann Caesar, dann Brando. Alles scharfe Rottweiler, und alle gehorchten aufs Wort. Trotzdem presst er seinen Rücken dicht an den Baum und hebt abwehrbereit den Stock.

 

Aus der Nähe betrachtet, stellt sich der Hund als pechschwarzes Katzenvieh heraus, das eine lange Schnur hinter sich her schleift, deren Ende im Abstand von einigen Metern zu einem kleinen Jungen führt, der eilig hinterherläuft, seinerseits gefolgt von einem zweiten, etwas größeren Jungen. Sperrige Gerätschaften in seinen Händen behindern ihn beim Laufen. Dicht vor ihm bleibt das Tier abrupt stehen, schlingt den Schwanz um seine Hosenbeine und schaut zu ihm hoch. Es hält ihn offenbar für einen Katzenliebhaber. Zu Unrecht, mit Katzen hat er es nicht so. Egoistisch, unzuverlässig, nicht zu kommandieren. Tun was ihnen gefällt. Menschliche Autorität ist ihnen schnuppe. Zeigen ganz offen, dass Gleichgültigkeit ihr Hauptwesenszug ist. Dieses Vieh aber versucht es zur Abwechslung mal mit Anbiederei, presst erst die Stirn an seine Schuhe, reibt dann die Flanke der Länge nach an seiner Hose, umkreist ihn und wiederholt die Prozedur. Er versucht einen Ausfallschritt, aber die Schnur, die am Katzenhalsband festgemacht ist, hält nicht nur seine Beine umschlungen, sie fesselt ihn auch an den Trompetenbaum.

 

„Marsch zurück, Fürst der Finsternis!“ fährt er mit drohend in die Höhe gehobenem Finger die Katze an, die jedoch keinerlei Anstalten macht, dem Befehl nachzukommen, sondern mit steil aufgerichtetem Schwanz vor ihm verharrt und offenbar erwartet, dass er sie streichelt. Empörend ist das! Die misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen lassen drei steile Falten auf seiner Stirn entstehen.

 

„Zum Kuckuck nochmal!“ schimpft er in Richtung der beiden Jungen, die im selben Moment zur Stelle sind, Rotzbengel, die Schandverse erfinden: Hinter einer Lokusmauer saß der Doktor Adenauer, hatte kein Papier –

 

„Entschuldigung“, ruft der Größere. Groß genug, um zu wissen, dass man Katzen nicht wie Hunde an der Leine spazieren führt. Tierquäler. Auf dem Rücken trägt er einen Rucksack, aus dem ein paar Stöcke ragen, in der einen Hand ein grünes Netz mit einem langen Griff, in der andern einen gelben Plastikeimer. Kleine Spitzbuben, auf frischer Tat ertappt, jetzt auf der Flucht. „Mein Bruder hat die Leine –“

 

„Die hat sich“, unterbricht ihn der Kleine und zeigt dabei auf sein Handgelenk, „hat sich – einfach – abgewickelt.“ Er ist rot im Gesicht und schnappt nach Luft.

 

„Donnerwetter, du bist aber aus der Puste“, stellt Adenauer fest. „Von dem bisschen Laufen!“

 

„Mein Bruder hat es an der Lunge“, sagt der Größere und zieht ein sorgenvolles Gesicht. „Chronische Bronchitis“.

 

„Soso, Bronchitis“, wiederholt Adenauer skeptisch, der eine mitleidheischende Unwahrheit argwöhnt.

 

„Bron-chitis“, japst der Kleine und produziert auf der Stelle ein röhrendes Hustengeräusch, das Adenauer an der Diagnose nicht weiter zweifeln lässt. „Hört mal“, sagt er deshalb in versöhnlichem Ton, „könnt ihr mich jetzt vielleicht losmachen von meinem Marterpfahl?“

 

„Sofort“, sagt der Große und legt Eimer und Netz beiseite.

 

Na also, denkt Adenauer. Und dann nichts wie weg, bevor die Rotzbengel es sich anders überlegen.

 

„Das ist doch gar kein Marterpfahl“, lässt sich der Kleine schüchtern vernehmen, während sein Bruder mit der Katze auf dem Arm zweimal um den Baum herummarschiert.

 

„Doch, ist es“, sagt Adenauer verdrossen, und schon schiebt sich das Bild des an einen Baum gefesselten, von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian im Wallraf-Richartz-Museum vor sein inneres Auge. Der kleine Klugscheißer scheint gar nicht zu wissen, was er da angerichtet hat. „Ich war stramm gefesselt“, bekräftigt er. „Und dabei bin ich ein freiheitsliebender Mensch. Das war der reinste Marterpfahl.“

 

„Aber dann wärst du ja ein Indianer“, lautet die kecke Schlussfolgerung.

 

Adenauer verschlägt es die Sprache. Der Bengel meint es doch tatsächlich besser zu wissen. Und duzt ihn obendrein auch noch. Na gut, dann lassen wir uns mal auf das Spielchen ein. „Bin ich ja auch“, sagt er und lehnt sich mit gestreckten Armen auf seinen Stock. „Ich bin sogar Häuptling.“

 

Der Kleine starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Wirklich?“

 

„Großes Indianerehrenwort.“

 

„Sie sehen auch… ein bisschen aus wie ein… Indianer“, sagt der Große mit respektvollem Zögern.

 

„Das will ich meinen. Hier und hier“, sagt Adenauer und zeigt auf zwei große Narben an Oberlippe und rechter Schläfe. Der Autounfall. Mit voller Wucht gegen die Trennscheibe geschleudert. Joch-und Nasenbein gebrochen, Unterkiefer zerschmettert, die Oberlippe gespalten, sechs Zähne verloren. Nach den Operationen hatte ich ein anderes Gesicht. Unregelmäßiger, dadurch verwegener. Meinetwegen auch tückischer. Vielleicht hat es mir ja geholfen. Die Wege des Herrn sind unerforschlich. „Von einem Tomahawk!“, erläutert er mit ernster Miene. Die Sache beginnt ihm Spaß zu machen.

 

„Das hat bestimmt sehr geblutet“, stellt der Große fachmännisch fest.

 

„Kann man wohl sagen. Ich war so zugerichtet, dass meine eigenen Leute mich nicht mehr erkannt haben. Aber der Bursche, gegen den ich gekämpft habe, Dampfender Büffel mit Namen, sah schlimmer aus.“

 

„Ist er jetzt tot?“ will der Kleine wissen.

 

„Nein“, beruhigt ihn Adenauer. „Nur ein bisschen – zurechtgestutzt. Sagen wir mal: Er hat ein paar seiner Federn eingebüßt.“

 

„Genau“, bestätigt der Kleine. „Indianer haben Adlerfedern. Aber du hast einen Hut.“

 

„Ach was, Federn…“. Missbilligend schüttelt Adenauer den Kopf. „Ich bin doch kein Vogel! Außerdem könnte ich das ja alles unter meinem Hut versteckt haben.“

 

„Zeig mal!“

 

„Ich habe gesagt: könnte. Meine Federhaube ist aber viel zu groß, um sie unter dem Hut zu verstecken.“

Wie denn? Sooooo groß?“ ruft der Kleine und streckt beide Arme aus.

 

„Mindestens“, versichert Adenauer. „Jedenfalls zu groß, um sie mit ins Flugzeug zu nehmen. Deshalb habe ich sie lieber in Amerika gelassen, bei meinem Indianerstamm.“

 

Im selben Moment fällt ihm ein, dass das Prunkstück wohlverwahrt zuhause liegt, in einem Koffer auf dem Speicher. Gleichzeitig kommt ihm die Fenstergravur im Seitenschiff von Mariä Heimsuchung in den Sinn, sein Antlitz im Häuptlingsschmuck. Das könnten sich die Jungen doch mal ansehen. Allerdings ist es seinem Empfinden nach nicht einmal besonders ähnlich, die Wangen allzu vollfleischig und dabei faltig zerfurcht, wie ein greiser Mischling aus ihm und Erhard. Und so winzig klein in den Blütenkelch der weißen Rose geritzt, dass man dafür ein Fernglas braucht. Nein, lieber nicht erwähnen. Aber ich habe ja noch einen anderen Pfeil im Köcher.

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