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Aus Richtung Parkeingang kommt etwas Schwarzes mit kurzen Sprüngen auf Adenauer zu gehetzt, hinterdrein ein Kind. Wahrscheinlich ein ungehorsamer Hund. Mit Hunden versteh ich mich gut. Hab nach dem Krieg immer einen gehabt, erst Rolf, dann Caesar, dann Brando. Alles scharfe Rottweiler, und alle gehorchten aufs Wort. Trotzdem presst er seinen Rücken dicht an den Baum und hebt abwehrbereit den Stock.

 

Aus der Nähe betrachtet, stellt sich der Hund als pechschwarzes Katzenvieh heraus, das eine lange Schnur hinter sich her schleift, deren Ende im Abstand von einigen Metern zu einem kleinen Jungen führt, der eilig hinterherläuft, seinerseits gefolgt von einem zweiten, etwas größeren Jungen. Sperrige Gerätschaften in seinen Händen behindern ihn beim Laufen. Dicht vor ihm bleibt das Tier abrupt stehen, schlingt den Schwanz um seine Hosenbeine und schaut zu ihm hoch. Es hält ihn offenbar für einen Katzenliebhaber. Zu Unrecht, mit Katzen hat er es nicht so. Egoistisch, unzuverlässig, nicht zu kommandieren. Tun was ihnen gefällt. Menschliche Autorität ist ihnen schnuppe. Zeigen ganz offen, dass Gleichgültigkeit ihr Hauptwesenszug ist. Dieses Vieh aber versucht es zur Abwechslung mal mit Anbiederei, presst erst die Stirn an seine Schuhe, reibt dann die Flanke der Länge nach an seiner Hose, umkreist ihn und wiederholt die Prozedur. Er versucht einen Ausfallschritt, aber die Schnur, die am Katzenhalsband festgemacht ist, hält nicht nur seine Beine umschlungen, sie fesselt ihn auch an den Trompetenbaum.

 

„Marsch zurück, Fürst der Finsternis!“ fährt er mit drohend in die Höhe gehobenem Finger die Katze an, die jedoch keinerlei Anstalten macht, dem Befehl nachzukommen, sondern mit steil aufgerichtetem Schwanz vor ihm verharrt und offenbar erwartet, dass er sie streichelt. Empörend ist das! Die misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen lassen drei steile Falten auf seiner Stirn entstehen.

 

„Zum Kuckuck nochmal!“ schimpft er in Richtung der beiden Jungen, die im selben Moment zur Stelle sind, Rotzbengel, die Schandverse erfinden: Hinter einer Lokusmauer saß der Doktor Adenauer, hatte kein Papier –

 

„Entschuldigung“, ruft der Größere. Groß genug, um zu wissen, dass man Katzen nicht wie Hunde an der Leine spazieren führt. Tierquäler. Auf dem Rücken trägt er einen Rucksack, aus dem ein paar Stöcke ragen, in der einen Hand ein grünes Netz mit einem langen Griff, in der andern einen gelben Plastikeimer. Kleine Spitzbuben, auf frischer Tat ertappt, jetzt auf der Flucht. „Mein Bruder hat die Leine –“

 

„Die hat sich“, unterbricht ihn der Kleine und zeigt dabei auf sein Handgelenk, „hat sich – einfach – abgewickelt.“ Er ist rot im Gesicht und schnappt nach Luft.

 

„Donnerwetter, du bist aber aus der Puste“, stellt Adenauer fest. „Von dem bisschen Laufen!“

 

„Mein Bruder hat es an der Lunge“, sagt der Größere und zieht ein sorgenvolles Gesicht. „Chronische Bronchitis“.

 

„Soso, Bronchitis“, wiederholt Adenauer skeptisch, der eine mitleidheischende Unwahrheit argwöhnt.

 

„Bron-chitis“, japst der Kleine und produziert auf der Stelle ein röhrendes Hustengeräusch, das Adenauer an der Diagnose nicht weiter zweifeln lässt. „Hört mal“, sagt er deshalb in versöhnlichem Ton, „könnt ihr mich jetzt vielleicht losmachen von meinem Marterpfahl?“

 

„Sofort“, sagt der Große und legt Eimer und Netz beiseite.

 

Na also, denkt Adenauer. Und dann nichts wie weg, bevor die Rotzbengel es sich anders überlegen.

 

„Das ist doch gar kein Marterpfahl“, lässt sich der Kleine schüchtern vernehmen, während sein Bruder mit der Katze auf dem Arm zweimal um den Baum herummarschiert.

 

„Doch, ist es“, sagt Adenauer verdrossen, und schon schiebt sich das Bild des an einen Baum gefesselten, von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian im Wallraf-Richartz-Museum vor sein inneres Auge. Der kleine Klugscheißer scheint gar nicht zu wissen, was er da angerichtet hat. „Ich war stramm gefesselt“, bekräftigt er. „Und dabei bin ich ein freiheitsliebender Mensch. Das war der reinste Marterpfahl.“

 

„Aber dann wärst du ja ein Indianer“, lautet die kecke Schlussfolgerung.

 

Adenauer verschlägt es die Sprache. Der Bengel meint es doch tatsächlich besser zu wissen. Und duzt ihn obendrein auch noch. Na gut, dann lassen wir uns mal auf das Spielchen ein. „Bin ich ja auch“, sagt er und lehnt sich mit gestreckten Armen auf seinen Stock. „Ich bin sogar Häuptling.“

 

Der Kleine starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Wirklich?“

 

„Großes Indianerehrenwort.“

 

„Sie sehen auch… ein bisschen aus wie ein… Indianer“, sagt der Große mit respektvollem Zögern.

 

„Das will ich meinen. Hier und hier“, sagt Adenauer und zeigt auf zwei große Narben an Oberlippe und rechter Schläfe. Der Autounfall. Mit voller Wucht gegen die Trennscheibe geschleudert. Joch-und Nasenbein gebrochen, Unterkiefer zerschmettert, die Oberlippe gespalten, sechs Zähne verloren. Nach den Operationen hatte ich ein anderes Gesicht. Unregelmäßiger, dadurch verwegener. Meinetwegen auch tückischer. Vielleicht hat es mir ja geholfen. Die Wege des Herrn sind unerforschlich. „Von einem Tomahawk!“, erläutert er mit ernster Miene. Die Sache beginnt ihm Spaß zu machen.

 

„Das hat bestimmt sehr geblutet“, stellt der Große fachmännisch fest.

 

„Kann man wohl sagen. Ich war so zugerichtet, dass meine eigenen Leute mich nicht mehr erkannt haben. Aber der Bursche, gegen den ich gekämpft habe, Dampfender Büffel mit Namen, sah schlimmer aus.“

 

„Ist er jetzt tot?“ will der Kleine wissen.

 

„Nein“, beruhigt ihn Adenauer. „Nur ein bisschen – zurechtgestutzt. Sagen wir mal: Er hat ein paar seiner Federn eingebüßt.“

 

„Genau“, bestätigt der Kleine. „Indianer haben Adlerfedern. Aber du hast einen Hut.“

 

„Ach was, Federn…“. Missbilligend schüttelt Adenauer den Kopf. „Ich bin doch kein Vogel! Außerdem könnte ich das ja alles unter meinem Hut versteckt haben.“

 

„Zeig mal!“

 

„Ich habe gesagt: könnte. Meine Federhaube ist aber viel zu groß, um sie unter dem Hut zu verstecken.“

Wie denn? Sooooo groß?“ ruft der Kleine und streckt beide Arme aus.

 

„Mindestens“, versichert Adenauer. „Jedenfalls zu groß, um sie mit ins Flugzeug zu nehmen. Deshalb habe ich sie lieber in Amerika gelassen, bei meinem Indianerstamm.“

 

Im selben Moment fällt ihm ein, dass das Prunkstück wohlverwahrt zuhause liegt, in einem Koffer auf dem Speicher. Gleichzeitig kommt ihm die Fenstergravur im Seitenschiff von Mariä Heimsuchung in den Sinn, sein Antlitz im Häuptlingsschmuck. Das könnten sich die Jungen doch mal ansehen. Allerdings ist es seinem Empfinden nach nicht einmal besonders ähnlich, die Wangen allzu vollfleischig und dabei faltig zerfurcht, wie ein greiser Mischling aus ihm und Erhard. Und so winzig klein in den Blütenkelch der weißen Rose geritzt, dass man dafür ein Fernglas braucht. Nein, lieber nicht erwähnen. Aber ich habe ja noch einen anderen Pfeil im Köcher.

 
 
 

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