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- Jan-Christoph Hauschild

- 18. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Croqué war jung, er sah bemerkenswert gut aus, und sein respektabler akademischer Lebenslauf war mit einem amerikanischen, bei der Forschungslegende Howell entstandenen Ph.D. gekrönt, was seiner Bewerbung ein weltmännisches Flair verlieh. Das gab den Ausschlag. Nachdem ihn die Berufungskommission mit 4 zu 1 Stimmen ganz oben auf die Liste gesetzt hatte, war die Bestätigung durch Universitätspräsident Raymond Dacourt, einen Sportmediziner, nur noch Formsache. Als Inhaber des Lehrstuhls für prähistorische Anthropologie und forensische Osteologie war Croqué zugleich geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologische und Forensische Anthropologie, für dessen Auf- und Ausbau er ansehnliche Fördergelder kassierte. In seiner Fakultät, der Fakultät für Humanwissenschaften, galt er schnell als Jungstar.
Mit seiner Berufung war der Anfang einer großspurigen Existenz gemacht und das Ende der Ära der erzwungenen Bescheidenheit eingeläutet. Von nun an waren alle Pläne und Handlungen Croqués auf schwindelerregende Weise am zu erwartenden Nutzen orientiert. Neben Alters- und Geschlechtsbestimmung gehörten Knochenmineraldichtemessung, und, in Verbindung mit einem Labor in Montpellier, DNA-Analysen zum Angebot seines Instituts. Wenn er von seinen G.E.N.-Analysen sprach, meinte er insgeheim, dass sich ihre Ergebnisse am Größten zu Erzielenden Nutzen für ihn zu orientieren hatten. Besessen von den Dämonen des Ehrgeizes, der Eitelkeit und der Skrupellosigkeit, ordnete er die wissenschaftliche Wahrheit dem zu erwartenden Profit unter, der meist aus finanziellen Einkünften, manchmal auch lediglich aus Publizität und Ruhm bestand, was mitunter noch wertvoller sein konnte.
Ein finanziell einträglicher und höchst öffentlichkeitswirksamer Auftrag war zum Beispiel die Differenzierung und Identifikation mehrerer Skelette aus der Familiengruft der Adelsfamilie Talleyrand in Valençay gewesen, wo Croqués Analysen einen Familienkrimi aufgedeckt bzw. produziert hatten. Von Bleivergiftung und Kuckuckskindern, ja sogar von Inzest war die Rede gewesen, alles angeblich zutage gefördert durch genetische und biochemische Knochenanalysen.
Mit einer Habilitation hatte Croqué bei seiner Berufung nicht aufwarten können, sie war aber auch nicht von ihm verlangt worden. Vielmehr war die Kommission davon ausgegangen, dass er sich „nebenbei“ mit aktuellen Arbeitsergebnissen habilitieren werde. Das tat er dann auch.
Geschrieben wurde die Arbeit – unwissentlich – fünf Jahre später von einem Doktoranden aus Mainz, der einen Austausch an der Partneruniversität in Straßburg absolvierte. Schon bei seinem ersten Gespräch mit dem Deutschen hatte Croqué gemutmaßt, dass seine Arbeit die ideale Blaupause für sein eigenes Opus liefern würde, und nachdem er sie genau ein Jahr später von der zweisprachig aufgewachsenen Bibliothekarin der heilpädagogischen Abteilung für kleines Geld für sich hatte übersetzen lassen, sah er sich bestätigt. Es würde nur weniger Modifikationen bedürfen, um sie in ein eigenes Produkt zu verwandeln. Die Arbeit befasste sich mit dem Schädel eines Halbaffen der Gattung Europolemur, der im Eozän, vor etwa 40 Millionen Jahren, lebte. Der bräunliche Kopf war im Besitz eines Taxifahrers, dessen Vater ihn bei Ausbauarbeiten in einer Ölschiefergrube gefunden hatte, die in eine Mülldeponie umgewandelt werden sollte.
Croqué ließ sich von dem Doktoranden Name und Adresse des Besitzers geben, fuhr hin und kaufte ihm den Schädel für 350 Euro ab, um danach in aller Ruhe seinen nächsten Betrug vorzubereiten. Seine Modifikationen beschränkten sich im Wesentlichen auf eine Umstrukturierung des Texts und Umstellungen einzelner Abschnitte. Der Rest war Feinarbeit: Kopieren und Einsetzen, Kopieren und Ersetzen. Die digitale Textform beschleunigte die Überarbeitung, die deshalb keine zwei Wochen von Croqués kostbarer Zeit in Anspruch nahm.
Auf den ersten Blick schienen das Original und Croqués Version bis auf den Gegenstand, ein Europolemur-Cranium aus dem Eozän, nicht das Geringste miteinander zu tun zu haben. Und auf den zweiten Blick auch nicht, da Croqué das Fossil als Neufund vorstellte. In seiner Beschreibung behauptete er, den Schädel bei einem Trödler in Verviers erworben zu haben, der ihn bei einer Haushaltsauflösung zusammen mit einer Kiste Schalenblende aus dem Nachlass eines Lehrers erhalten hatte, dessen Großvater als Bergmann im belgischen La Calamine tätig gewesen sei. Die von ihm am Hinterhauptsbein entdeckte Bleistiftbezeichnung „LC 1926“ entspreche dieser Lokation. In Südwestdeutschland und der Schweiz gab es zahlreiche Fundstellen für Europolemur. Aber in den Kalkablagerungen des französisch-belgischen Beckens waren noch nie Überreste eines solchen Halbaffen gefunden worden; unter Primatologen eine Sensation.
Erstgutachter war Croqués Doktorvater in Monterey, Jared Bracke, der mittlerweile zwar einiges an Jahren zugelegt, seinen Ruhm in der Wissenschaft jedoch nicht nennenswert gemehrt hatte. Als Entgelt für die Gefälligkeit überließ ihm Croqué den Unterkiefer eines Pliopithecus piveteaui, der 1842 in der Nähe von Lourdes ausgegraben worden war und aus der Institutssammlung stammte. Zweitgutachterin war die Humanbiologin Christine Villetard, Croqués Fakultätskollegin. Sie winkte die Habilitationsschrift durch, auch wenn sie insgeheim überzeugt war, dass sie wenig taugte. Sie hatte es längst aufgegeben, mit diesem schillernden Hansdampf ihre Kräfte zu messen, der, wie sie einsah, für eine große Sache kämpfte, nämlich für seine eigene.
Enttäuschend war allerdings, dass Croqué seinen Anthropologie-Ph.D. aus Monterey in Frankreich nur mit dem Zusatz „(UCM, USA)“ führen durfte. Doch seit seiner Berufung, genauer gesagt, seit Ablauf der zweijährigen Probezeit, hielt er sich nicht mehr daran. Darauf angesprochen, redete er sich stets damit heraus, dass es seine Schuld nicht sei, wenn man ihn immer wieder mit einem französischen docteur gleichstelle. Doch nachdem er den Herausgebern der Universitätszeitung einen wieder mit „Prof. Dr. Guy Croqué“ gezeichneten Beitrag zum zehnjährigen Bestehen der Fakultät eingereicht hatte, war er von der damaligen Dekanin der Fakultät schriftlich aufgefordert worden, zur Vermeidung einer förmlichen Unterlassungsanordnung und eines Strafverfahrens künftig sorgfältig auf den Zusatz zu achten bzw. gegenüber seinen Herausgebern auf der korrekten Angabe zu bestehen.
Weil sich diese Drohung zufällig mit Croqués eigenen Ambitionen deckte, einen zweiten, europäischen Doktortitel zu erwerben, der seinen Namen auf „Prof. Dr. Ph.D. (UCM, USA) Guy Croqué“ verlängern würde, erneuerte er seine Bekanntschaft zu einem Kollegen an der Université Charles François in Luxemburg, der zu dieser Zeit Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften war und von dem er annahm, dass er zu einem Gefälligkeitsdienst auf Gegenseitigkeit bereit war. Louis Hoffmiller, Professor für historische Anthropologie, hatte während einer Fachtagung in Fribourg eine Nacht in Polizeigewahrsam verbringen müssen, nachdem er in der Lobby des Tagungshotels randaliert und den Hotelmanager tätlich angegriffen hatte, weil der seinen Vorschlag, den Barbetrieb nach Mitternacht auf Selbstbedienung umzustellen, allzu unfreundlich zurückgewiesen hatte. Es war Croqué, der Hoffmiller auf die Polizeiwache begleitete und am nächsten Morgen von dort wieder abholte, und zu Recht konnte er davon ausgehen, dass Hoffmiller sich ihm seitdem irgendwie verbunden fühlte.
Gegen den Widerstand seiner Kollegen setzte Hoffmiller die Annahme von Croqués Abhandlung, die lediglich aus einem Konglomerat seiner bisherigen Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften Archéozoologie, African Archaeology, Das Quartär und Homo International bestand, als Dissertation durch, obwohl dies den Promotionsstatuten der Université Charles Francois in keiner Weise entsprach. Die Arbeit war auch als Konglomerat kaum 100 Seiten stark und befasste sich mit Osteodensitometrie, Knochendichtemessung, wofür Beispiele aus Afrika, Süd- und Osteuropa herangezogen wurden. Sie war in einem scheußlichen Fachjargon abgefasst, weshalb, als sie formell dem Gutachterausschuss des Fachbereichs vorgelegt wurde, keine Einwände kamen. Im Gegenzug durfte sich Hoffmillers Ehefrau, eine Geographin, für ihre Abhandlung „Zur Struktur und kleinstandörtlichen Verteilung von Moosgesellschaften auf Sandstein-Blockhalden im Amblèvetal“ über einen Doktortitel in Humanwissenschaften der Université Sébastien Brant freuen, den Croqué quasi im Alleingang durchgesetzt hatte.
Die wertvolle Kollektion mit Schädeln von Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen mit den Provenienzen Borneo, Südamerika, West- und Zentralafrika und Südostasien, deren Umsignierung er gerade vornahm, hatte Croqué letztes Jahr durch einen Mittelsmann der Universität Wien angeboten. Auf den Verkaufspreis von 105.000 Euro war er gekommen, indem er die Zahl 107 mit 1000 multipliziert und das Ergebnis großzügig abgerundet hatte. Nach längerer Sponsorensuche hatte der Verwaltungsrat der Universität Wien schließlich dem Kauf zugestimmt und bereits eine Anzahlung von 5.000 Euro für die fachgerechte Verpackung geleistet, womit Croqué die Zahntechniker-Spezialwerkzeuge gekauft hatte. Verpackung und Versand würde er auf Institutskosten vornehmen lassen, indem er die Objekte als Leihgaben deklarierte.

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