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Papa fährt nicht mehr nach Hinterzarten. Er arbeitet jetzt in Wildbad im Hotel Post. Er schickt uns jede Woche einen Brief, und wenn er einen Ausflug macht, eine Ansichtskarte. Im Brief ist meistens noch eine Indianergeschichte für uns, wozu er bunte Bildchen malt.
Mama ist in der Küche und kocht unsere Wäsche in einem großen Topf. Paul macht seine Hausaufgaben und schreibt eine Mecki-Karte an Papa, damit er uns bald wieder einmal besucht. Ich will auch schreiben. Mama gibt mir Papier und ich liege auf dem roten kratzigen Teppich mit den weißen Stellen, wo die Wolle ab ist. Schreiben geht ganz einfach, aber vorher muss man sich überlegen, was man schreiben will, und das ist sehr schwer. Auf jeden Fall muss in der Geschichte Bernhardgschimek vorkommen und Michaelgschimek und ihr Freund Dschamali. Ich schreibe eine ganze Seite voll und dann noch eine und dann zeige ich sie Paul. Paul sagt, das ist gar keine richtige Schrift, das sind lauter Ems, emm emm emm emm emm, aber ich weiß es besser.

Mama wird fast verrückt, weil sich Papa vier Wochen am Stück nicht in Freudenstadt blicken lässt. Sie sagt, morgen fahren wir da hin, mit dem Bus. Das dauert zwar drei Stunden, aber unterwegs machen wir ein paar Mal Halt und es gibt viel zu sehen.
Ich freue mich, weil ich noch nie Bus gefahren bin, aber Paul sagt, bist du doch, du Blödmann, von Leinsweiler nach Freudenstadt. Ich zeige mit dem Finger auf ihn und singe Was man sagt, das ist man selber, hähä, aber weil er immer das letzte Wort haben muss, antwortet er prompt mit Sagen alle blöden Kälber, hähä, aber ich singe einfach immer weiter Was man sagt, das ist man selber! und hüpfe dabei um Paul herum, bis Mama mich am Schlafittchen packt und Schluss jetzt, Kruzitürken! schimpft.

Nach dem Frühstück gehen wir zum Markt. Da stehen schon andere Leute und warten. Ein Bus kommt nicht, nur ein großes blaues Auto, in das die anderen Leute alle einsteigen. Mama fragt den Fahrer, ob er weiß, was mit dem Bus nach Wildbad los ist. Der Fahrer sagt, wir sollen einsteigen, denn wenn so wenige Leute nach Wildbad wollen, gibt es keinen Bus.

Weil die Plätze vorn schon alle belegt sind, setzen wir uns ganz nach hinten. Ich presse mein Gesicht an die Scheibe, um möglichst viel zu sehen und male mit der Zungenspitze Figuren auf das Glas, aber als Mama das merkt, sagt sie, igitt, und zieht mich auf ihren Schoß. Von so hoch oben kann ich gut sehen, aber vielleicht sieht man von Pauls Seite noch besser. Am besten wäre es, sich auf den Sitz zu stellen, aber das Auto fährt nicht geradeaus, sondern die ganze Zeit um die Ecke, und da ist es besser, man sitzt auf dem Po.
Einmal hält das Auto an und wir dürfen aussteigen und herumschauen, und der Fahrer sagt den Leuten, wo sie hinschauen sollen, weil sie jetzt das Straßburger Münster sehen können, und Paul schreit, dass er es sieht, und Mama macht Psscht, und Paul ist böse, weil sie es vor allen Leuten gesagt hat.

Wir steigen ein und fahren weiter, und wieder fährt das Auto die ganze Zeit um die Ecke, nur diesmal in die andere Richtung. Paul ist ganz still und sein Gesicht hat die Farbe von Haferflockenbrei. Als Mama ihn fragt, was los ist, sagt er, ihm ist schlecht. Mama fragt ihn, ob er kötzern muss, und Paul sagt, er glaubt ja. Mama sagt, das ist wegen der vielen Kurven und wegen dem Benzingestank hier drin, und in einem richtigen Bus wäre das nicht passiert, aber er soll tapfer sein und durchhalten bis zur nächsten Pause, da kann er dann frische Luft schnappen.

Als das Auto anhält, drängt sich Paul nach vorn zur Tür und läuft ein paar Schritte bis auf eine Wiese, und dann muss er kötzern. Mama geht zu ihm hin, aber dann läuft sie an ihm vorbei zu einer Ruhebank, an der sie sich festhält, und jetzt kötzern sie beide. Uns zuliebe gibt es eine längere Pause, und als wir wieder einsteigen, dürfen wir ganz vorne sitzen, und der Fahrer gibt Mama Ratschläge, wohin man beim Fahren gucken soll.

Dann sind wir endlich in Wildbad, und Mama sagt, wir haben jetzt zwei Stunden Zeit, um Papa zu besuchen. Wir gehen zum Hotel Post und setzen uns im Gastgarten an einen Tisch. Wir dürfen uns ein Eis bestellen, aber Paul will kein Eis, sondern lieber einen Tee wie Mama, und als das Fräulein kommt, bestellt Mama zwei schwarze Tee und ein gemischtes Eis mit drei Kugeln, und können Sie bitte in der Küche Herrn Thalrand Bescheid sagen, seine Familie ist da.

Das Fräulein kommt nicht wieder, sondern Papa, er hat eine Zigarette im Mund und bringt uns die zwei Tee und mein Eis. Er sieht anders aus als sonst, weil das nämlich seine Arbeitskleidung ist. Er gibt uns allen einen Kuss und ich sitze auf seinem Schoß und erzähle ihm, dass wir mit einem Kötzerauto gekommen sind und löffle dazu mein Eis und Papa sagt, das Eis hat er selbst gemacht.

Nachher will Mama noch sehen, wo Papa wohnt. Wir gehen in das Hotel und fahren mit dem Aufzug nach oben, wo er uns sein Zimmer zeigt. Es sieht ein bisschen aus wie unser Kinderzimmer, nur dass da bloß ein einziges Bett steht.

Auf dem Weg nach draußen begegnet uns eine Frau mit dunklen Haaren in einem schwarzen Kleid mit einer weißen Schürze. Sie winkt uns zu.
Wer ist das, Papa?
Das ist Karola, unsere Kaltmamsell.
Was ist eine Kaltmamsell, Papa?
Die Kaltmamsell, fängt Papa an, aber Mama unterbricht ihn und erklärt, dass Mamsell von Mademoiselle kommt, und das ist Französisch und hört sich edel an, aber es heißt nichts anderes als Fräulein.
Die Kaltmamsell, fährt Papa fort, ist eine Köchin, die nicht kocht. Sie ist für die kalten Speisen zuständig. Also Brot, Butter, Käse, Wurst, Salat...
Aber die sind doch nicht eiskalt, sagt Paul.
Nein, aber auch nicht gewärmt oder gekocht. Kalte Küche sagt man auch dazu.
Brr, Kalteküche, Kalteküche wiederhole ich und drücke dabei Papas große warme Hand ganz fest, aber als ich versuche, dazu zu hüpfen, lässt er mich einfach los und ich verliere den Halt und höre auf zu hüpfen, damit ich weiter an seiner Hand gehen kann.



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