Mit bewegten Bildern können die Illustrierten nicht aufwarten. Daher locken sie mit Nackedeis in Farbe und fetten Schlagzeilen. Hier auch wieder. Blondine im Bikini, schätzungsweise sogar minderjährig. Schulterlanges verstrubbeltes Haar, die Hände herausfordernd in die nackten Hüften gestemmt. Mehr als nur ein Hauch von Verruchtheit. Die „Quick“; typisch. Ist noch nicht lange her, da hat mich der Chefredakteur, ein Holländer namens van Nouhuys, um ein Interview gebeten. „Kein politisches“, man denke eher an ganz allgemeine, menschliche Fragen, etwa: „Welche Gesellschaft bevorzugen Sie? Die einer schönen oder die einer intelligenten Frau?“ Ließ natürlich dankend ablehnen, woraufhin van Nouhuys meinte, mich mit dem Versprechen umstimmen zu können, dass ich dafür auch aufs Titelblatt käme. Da wäre ich dann seit langem der erste gewesen, der was anhat. Glaubte wohl, ich würde jetzt alles mitmachen, bloß weil sie letztes Jahr dem verdrehten Kokoschka 200 000 Mark hingeblättert haben, damit er mich in Öl porträtiert. 200 000 Mark, und die Augen sitzen nicht mal an der richtigen Stelle. Hängt jetzt in der Ruhehalle vom Bundestag, der Ölschinken. Ruhehalle, nicht Ruhmeshalle. Mit Schildchen dran, damit es keiner vergisst: „Kokoschka: Adenauer – Gestiftet von ‚Quick‘ 1966“. Ob in hundert Jahren noch jemand weiß, wer oder was „Quick“ war? Nicht mal mehr in dreißig Jahren.
Er knipst die Stehlampe an, die von ihrem angestammten Platz zwischen Bett und Nachttisch hierher gewandert ist. Ihre Verbindung zur Steckdose ist durch eine Zeitschaltuhr unterbrochen. Eigene Erfindung, vom Elektriker in Honnef ausgeführt. Stelle ich vor dem Schlafengehen auf 30 Minuten ein. Funktioniert bestens.
Adenauer zieht ein Heft aus dem Zeitschriftendurcheinander, lässt seine Finger darin blättern. Fliegende Untertassen gesichtet. Über solchen Quatsch wird berichtet, nicht aber über die Gefahr durch chinesische Interkontinentalraketen. Deutsche Findelkinder, in Russland aufgewachsen, suchen ihre Eltern. Hätten sich mal früher melden sollen, dann hätte ich sie 1955 mit nach Hause gebracht. Eine brennende Frau ist in New York aus einem Hotel gestürzt, ein Geologe in Sibirien von einem Bären überfallen worden; alles mit Bildern. Was denken die Leute, die sowas lesen? Sie müssen denken, die Welt ist ein Tollhaus, mindestens aber ein Zirkus. Menschen, Tiere, Sensationen. Bei uns wird der Direktor von Kiesinger gespielt.
Ein neuer Aufschwung rückt heran. Sag bloß. Den haben wir der Konzertierten Aktion zu verdanken. Konzertierte Aktion. Hohles Zeug, aber die „Quick“ liefert den Echoraum, damit sich das Schlagwort einprägt. Konzertierte Aktion, da ist Musik drin, hat es bei der Vorstellung des Konzepts wahrscheinlich geheißen, und sicherlich hat irgendeine Werbeagentur ihre Hand im Spiel gehabt. Wenn politische Entscheidungen neuerdings den beteiligten Akteuren anvertraut werden, können Strauß und Schiller ihre Ministerien ja gleich dicht machen. Armes Deutschland. Das ist der Scherbenhaufen, den der Dicke hinterlassen hat. Hab noch immer eine Mordswut im Bauch. Allein schon dessen Zigarrenraucherei, Pendant zu seiner wolkigen Ausdrucksweise. Die entsetzliche Luft bei den gemeinsamen Besprechungen... Die drei Jahre von Erhards Kanzlerschaft haben mich mindestens doppelt so viele Lebensjahre gekostet.
Ein Speichelfaden rinnt ihm aus dem Mund und tropft unbemerkt auf die aufgeschlagene Seite. Der große Quick-Fortsetzungsroman. Ausnahmsweise mal keine Schießereien in Chicago. Tatort Bundesrepublik, Minister statt Mafia. Ist angeblich ein Schlüsselroman: IN BONN KENNT JEDER DIE HAUPTFIGUREN. Der Verfasser bleibt anonym. Am Ende hat der Böll den Blödsinn geschrieben. Sähe ihm ähnlich. Ein gefährlicher Mensch, der alles madig macht. Zweifelt an der Christlichkeit der Union. Hält sich für den besseren Katholiken von uns beiden. Nun ja. Der Schoß der Kirche gibt auch verwirrten Seelen Obdach.
Nächstes Heft. Brünette Löwenmähne in aufreizendem Strickkleid, offen vom Brustbein bis unter den Nabel, lila mit weißen Querstreifen. Anmutung von Sträflingsdrillich. Als Aufmacher eine Dokumentation über die Berlin-Krise: IST AUF DIE AMIS NOCH VERLASS? Genau das frage ich mich auch. Seit Kennedy hat es von denen nichts als leere Versprechungen gegeben. Überall in der Welt machen sie schlechte und fehlerhafte Politik. Vietnam ist nur ein Beispiel unter vielen. Ein völlig sinnloser Krieg. Die Amerikaner werden ihn nicht gewinnen. Eine kluge Regierung würde versuchen, die Sache mit Anstand zu beenden. Es bleibt Ihnen ja gar nichts anderes übrig, wenn sie nicht als Geschlagene nach Hause gehen wollen. Aber sie sind nicht klug.
Guck an, Kennedy beim Segeln. Ja, davon verstand er etwas. Von Politik hat er keinen blassen Schimmer gehabt. Viele, ich selbst eingeschlossen, glaubten, er werde spätestens nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit wieder in der Versenkung verschwinden, genau wie Truman und Eisenhower vor ihm auch. Manche Beobachter bezweifelten sogar, dass es überhaupt zu einer zweiten Amtszeit kommen würde. Sie sollten recht behalten, wenn auch aus anderen Gründen als gedacht.
Meine Sympathie für Kennedy war hauptsächlich aus zwei Gründen so gering. Erstens, weil er so schrecklich jung war, viel zu jung für einen Staatsmann. Wir hatten in Deutschland auch mal zwei Vierundvierzigjährige als Reichskanzler. Und was ist dabei herausgekommen? Not und Elend und Krieg und Diktatur. Zweitens, weil er Amerikaner war, und die Amerikaner mag ich nicht leiden, weil sie den Indianern so übel mitgespielt haben und es immer noch tun.
Was waren das für großartige Krieger. Apachen, Schoschonen, Komantschen, Kiowa, Mescalero, Pawnee, Cheyenne, Sioux. Nicht einmal ihre Stammeshäuptlinge wurden mit dem gebührenden Respekt behandelt, der gewählten Führern zukommt. Spotted Tail, Sitting Bull: von der Indianerpolizei erschossen. Crazy Horse: von einem Wachsoldaten erstochen. Mangas Coloradas: in der Haft von Soldaten gefoltert und ermordet. Santana: Selbstmord im Gefängnis. Chief Joseph: in der Verbannung an gebrochenem Herzen gestorben.
Und das Land mag ich sowieso nicht. Zehnmal war ich in USA, zuerst noch mit dem Schiff, und immer war es eine Enttäuschung. Tankstellen und Auto-Motor-Hotels dicht an dicht, Rund-um-die-Uhr-Läden, Babylonische Bürotürme, sogar in Texas. Besser davon träumen als dort hinfahren.
Ach nee, ein großes Foto vom Herrn Brandt. Dass der bei den Amis gut angeschrieben ist, wissen wir ja. In Washington gibt es Kräfte, die ihn als Kanzler wollen. Haben sich das ein hübsches Sümmchen kosten lassen. Man sucht nach Verständigung mit Moskau, da ist die Union im Wege. Von einem Tauschgeschäft Berlin gegen Kuba ist die Rede. Alles ist möglich, wenn dieser Mann ans Ruder kommt. Angeblich soll er nicht mehr ganz so viel trinken wie früher, dafür aber um so mehr arbeiten. Wer‘s glaubt.
Was noch? ICH HABE GETÖTET, Tatsachenbericht. Ehemaliger Zonenflüchtling erschießt Familienvater. Also noch besser aufpassen, wer von drüben bei uns einsickert. Nächste Woche dann: DREI GENERATIONEN VON MÖRDERN. Der Großvater erschießt einen Arbeiter, der Vater ersticht seine Freundin, der Sohn erwürgt beinahe seine Verlobte. Also nur Beinahe-Mörder. Wieder übertrieben. Die Familie soll im Rheinland wohnen. Halte ich für möglich. Jedenfalls nicht für unmöglich.
In der Ausbeutung von Sensationsmeldungen ist die Presse unermüdlich. Das Papier, das mit der Zuschaustellung menschlichen Schmutzes vergeudet wird, sollte besser zur Aufklärung des Volkes verwendet werden. Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten.
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