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Aktualisiert: 30. Apr.

Als erster ergreift Groppe das Wort. Er ist als neuer Fraktionschef im Gespräch: Augen von einem scharfen Blau, markante Wangenknochen, kräftiges Kinn, lange, gerade Nase. Ein Pragmatiker. Nach Adenauers Empfinden mit dem Pragmatismus eines Bestattungsunternehmers. Er hält Groppe für überschätzt. Auch seine Eitelkeit, für Adenauer kein Zeichen von Klugheit, berührt ihn unangenehm. Um seine Statur einigermaßen auf Normalmaß zu bringen, trägt Groppe Schuhe mit Absätzen, die sich im Inneren verstecken. Dazu sein unübersehbarer Selbstgenuss beim Reden.

 

Groppe gibt sich befremdet. „Sollen wir annehmen, Herr Bundeskanzler, dass Sie sich entschieden haben, wieder an der Grundsatzdebatte unserer Partei teilzuhaben?“

 

„Meines Wissens habe ich nie damit aufgehört“, entgegnet Adenauer gelassen.

 

„Ich fürchte“, stellt Groppe fest, „ihr hohes Ansehen in der Bevölkerung könnte Schaden nehmen, wenn Sie sich in diese Auseinandersetzungen einbeziehen lassen. Sie haben eine großartige Zeit und einen würdevollen Abgang gehabt. Ihre Verdienste drohen dadurch zu verdunkeln.“ Er nimmt einen tiefen Zug aus seinem Zigarillo, doch anstatt den Qualm gleichmäßig von sich zu geben, entlässt er ihn in drei kurzen Atemstößen, als wolle er nach Indianerart durch Rauchzeichen mit seiner Umgebung kommunizieren. Der Schnelligkeit nach, mit der er sich unter der Zimmerdecke verflüchtigt, muss der Rauch sehr froh sein, aus Groppes Schnüss zu entkommen.

 

„Das sehe ich auch so“, pflichtet ihm Forell bei, den Blick scheu auf Adenauers hervortretende Schläfenader geheftet. „Wir sollten allen Zank und allen Streit, den wir im Herzen tragen, bis nach den Wahlen nächstes Jahr begraben. In der breiten Öffentlichkeit würde das alles nur als ein kleinkarierter innerparteilicher Zwist empfunden werden. Der Gesamteindruck wäre verheerend.“

 

Döbel, immer schon ein treuer Diener seines Herrn, mag das nicht so stehenlassen. „Oh, ich kenne sehr viele Leute in der Fraktion und in der Partei, die ganz dringend eine Orientierung durch den Ehrenvorsitzenden wünschen“, sagt er mit seiner warmen Baritonstimme, die seinem Auftreten immer etwas von der Feierlichkeit eines Predigers verleiht. Eine dünne Krone aschblonden Haars zieht sich um seinen Kopf.

 

Giebel schlägt sich mutig auf die Seite seiner Vorredner Groppe und Forell. „Ich möchte doch darauf hinweisen, dass diese Orientierung zu einer Konfrontation mit Kiesinger und seinen Leuten führen muss und daher beim Parteivorstand kaum Aussicht auf Erfolg haben dürfte.“ Sein schmales Gesicht mit den wässrig-blauen Augen wird von einer spitzen und gut ausgeprägten Nase dominiert, die ohne Zweifel das Zentralorgan seiner Weltwahrnehmung darstellt. „Anders lägen die Dinge“, räumt er gönnerhaft ein, „wenn eine gewisse Harmonisierung zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihren parteiinternen Gegnern stattfinden würde. Die Aussichten dafür stehen jedoch, wie Sie selbst am besten wissen, schlecht.“

 

Die vier Getreuen neben ihm halten die Augen gesenkt, die Blicke der andern richten sich auf Adenauer. Doch der sitzt unbeweglich, den Kopf in die große Hand gestützt. Wieder einmal hat er das Gefühl, die Jüngeren verstehen ihn nicht, wollen ihn auch gar nicht verstehen, sondern alles alleine entscheiden, weil sie glauben, es besser machen zu können. Leider mangelt es ihnen an der nötigen Erfahrung. Da hocken sie nun um den Tisch herum wie Schulknaben und heucheln Respekt und sogar Verehrung, wo sie mich in Wirklichkeit doch zum Teufel wünschen, mindestens aber der Politik entzogen, gärtnernd in der Verbannung, wie Bonaparte auf St. Helena. Wir erwarten deine Befehle, großer Gebieter des Grüns, Herrscher der Hyazinthen, Imperator des Ilex.

 

„Es tut mir außerordentlich leid, ihnen widersprechen zu müssen“, sagt Adenauer nach einigen Sekunden ominösen Schweigens, den Blick in eine unbekannte Ferne gerichtet. „Sie, Herr Groppe, und auch Sie, Herr Giebel, sind anscheinend der Meinung, dass man sich wehrlos ergeben soll solchen Tendenzen, weil die Aussicht, zu obsiegen, nicht sicher ist. Die von einigen Leuten in der Partei angestrebte Neuausrichtung bedeutet eine Kursänderung um 180 Grad. In einer solchen Situation, in der man an die Kinder und Kindeskinder und deren Schicksal denken muss, kann man die Erfolgsfrage nicht so im Vordergrund sehen. Für manche Dinge muss man rückhaltlos einstehen, koste es, was es wolle.“

 

Forell und Giebel schnauben nervös, Peitzger schraubt die Kappe seines Füllfederhalters ab und wieder auf, Bitterling schiebt Kuchenkrümel auf der Tischdecke zusammen, Döbel hüstelt in die geballte Faust. Groppe trägt ein maskenhaftes Grinsen zur Schau und vertieft sich dabei in das ihm gegenüber hängende Porträt einer Dame aus der Rembrandtzeit, die ihren Reichtum ohne Reue zeigt; nichts als Samt und Seide, Taft und Brokat. Feiste kurze Hände, die die aus Ärmelpuffen ragen, spitze Finger, die in Schoßhöhe mit der schweren goldenen Leibkette spielen; das teigig fleischige Gesicht mit dem berechnenden Lächeln eingerahmt von einem mühlradgroßen, in Rüschen gezogenen weißen Kragen und einer gefälteten Haube aus gestärktem weißen Leinen, die den Blick starr geradeaus lenkt. Umschau unmöglich. Nicht sehen wollen, was um einen herum vorgeht. Bestimmt eine Urahnin vom Alten.

 

Schmerl beschließt, ein neues Argument einzubringen. „Herr Bundeskanzler!“, hebt er pathetisch an. „Auch aus einem anderen Grund möchte ich Ihnen, mit allem Respekt, davon abraten, sich weiter programmatisch in der Parteiführung zu betätigen. Ich bin der Ansicht, dass das begonnene Memoirenwerk Ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert. Sich beides zuzumuten, geht über Ihre physische Kraft.“

 

Adenauer schenkt ihm ein sarkastisches Lächeln. „Vielen Dank, Herr Dr. Schmerl, dass Sie so um meine Gesundheit besorgt sind. Ich darf Ihnen aber verraten, dass die Arbeiten am vierten Band so gut wie abgeschlossen sind. Wenn ich richtig informiert bin, nimmt der Verlag bereits Vorbestellungen an.“

 
 
 

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