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„Das Angeln hat Ihnen gewiss Freude bereitet, Herr Bundeskanzler“, sagt Schwaderlapp, als er Adenauer zuhause aus dem Mantel hilft.

 

„Danke der Nachfrage“, entgegnet Adenauer. „Vergnügungen, die Geduld oder Gewandtheit oder sogar beides erfordern, sind mein Fach schon immer gewesen. Mit dem Angeln ist es wie mit der Kunst. Ein gewisses Talent –“

 

Er macht eine Pause, um dem Privatsekretär Gelegenheit zu geben, den Gedanken zu Ende zu führen; Schwaderlapp jedoch, der den Mantel gerade auf einen Bügel und den Bügel an einen Garderobenhaken gehängt hat, missversteht sein Zögern. Überzeugt, dass der Alte den Faden verloren hat, wiederholt er sanft: „Ein gewisses Talent –“, womit er gedanklich auf der Stelle tritt.

 

Adenauer bleibt nichts anderes übrig, als den Satz selbst zu vollenden: „Gehört dazu.“

 

Obwohl die dünne Aktentasche nicht gerade auf einen Angelerfolg schließen lässt, glaubt Schwaderlapp, aus dieser Antwort den gegenteiligen Schluss ziehen zu müssen. „Da darf man Ihnen also gratulieren, Herr Bundeskanzler.“

 

„Dürfen Sie. Es war allerdings ein hartes Stück Arbeit. Man muss jeden Schritt genau bedenken. Und vor allem muss man dem andern, in diesem Fall also dem Fisch, immer eine Nasenlänge voraus sein.“

 

„Da möchte man nicht der Fisch sein“, sagt Schwaderlapp.

 

„Nicht? Ja, der hat seine Lektion gelernt. Ich schätze, der passt beim nächsten Mal besser auf.“

 

„Sie haben ihn wieder – zurückgesetzt?“

 

„Ich war so frei. Ein Fünfpfünder, so lang wie mein Arm. Hätten Sie ihn gern als Trophäe über ihrem Bett gehabt?“

 

Die Frage, insbesondere wegen der Verbindung mit seiner Schlafstätte, lässt Schwaderlapp erröten. „Ich – nein“, stottert er, bevor er wieder in seine übliche Rolle zurückfindet. „Sie haben Ihre Entscheidung gewiss nach Abwägung aller Argumente getroffen.“

 

„Allerdings“, bestätigt Adenauer, dreht dem Privatsekretär den Rücken zu und stapft die Treppe in den ersten Stock hinauf, gerade als die wuchtige Standuhr in der Ecke des Flurs, die nur der Hausherr aufziehen darf, 19 Uhr schlägt.

 

Nachher beim Abendessen ruft sich Adenauer wieder das Angelerlebnis vom Nachmittag ins Gedächtnis. Er hat einen großen Fisch gefangen, im Kampf Mann gegen Mann. Weil er geschickt manövriert, jeden Schritt genau bedacht hat. Genau wie der alte Santiago. Santiago! Das ist der Name! Na bitte!

 

Als er fertig gegessen hat, geht er hinüber ins Arbeitszimmer, das zur Hälfte von einem großen Perserteppich aus Isfahan eingenommen wird (Geschenk des Schahs zum Staatsbesuch 1957). Auf dem nierenförmigen Schreibtisch stapeln sich Rechnungen, Honorargutschriften, Einladungen und Prospekte; Banalitäten, die er mit einem verächtlichen Blick streift.

 

Gegenüber auf der Anrichte aus Nussbaumfurnier steht, ohne jede Nachbarschaft, weil es, wie er gern erklärt, so klein es auch ist, den ganzen Raum braucht, das Bild einer Kreuzigungsgruppe. Es ist auf Goldgrund gemalt, ein düsteres Gegenstück zur Madonna im Rosenhag im Kölner Museum. Italienische Schule des 15. Jahrhunderts, hat ihm sein Kunsthändler versichert. Es ist noch schlichter, noch weniger auf Wirkung bedacht als das Altarbild im Schlafzimmer mit dem sterbenden Gekreuzigten, der vom warmen Rot göttlichen Erbarmens umfangen wird.

 

Grausame Hoffnungslosigkeit geht von dem kleinen Bild aus. Gerade darum liebt er es besonders. Der Maler ist ehrlich gewesen. Das Leben ist kein Paradiesgarten. Im Vordergrund Maria und Johannes, zwei vom Schmerz gezeichnete Gestalten in kahler Felsenlandschaft, einsam hoch über ihnen ein Christus am Kreuz in leidvoller Ergebenheit, umschwebt von vier Engelsgestalten, die sein Blut in Kelchen auffangen. Sonst keinerlei Beiwerk. Nichts soll von der erschütternden Szene ablenken. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Prägnanter ist das Thema grenzenloser Einsamkeit kaum darzustellen.

 
 
 

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