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Croqué spürte, dass dies nicht der Moment war, um zu Entschuldigungen Zuflucht zu nehmen. „Hören Sie“, sagte er stattdessen, „ich bin Fachmann für Primatenentstehung, naturwissenschaftliche Anthropologie, osteologische Analysen und für zehn bis zwanzig weitere Spezialthemen. Aber ich bin kein Fachmann für Staub. Wo er herkommt und wie er dahinkommt, wo er ist – tut mir leid, das weiß ich nicht. Wir haben unsere Arbeit jedenfalls nach bestem Wissen und Gewissen getan. Mein Institut waltet segensreich, seit vielen Jahren.“


„Das ist ja das Seltsame. Ihr Labor produziert bis heute ununterbrochen Analysen. Mit einem millionenteuren Apparat, der gar nicht gebrauchsfähig ist. Da, ein Überweisungsbeleg aus St. Gerold in Österreich. Gerade mal drei Wochen ist das her.“


„Ja, weil die Österreicher so spät bezahlt haben. Die Analyse haben wir schon vor Monaten gemacht.“


„Monsieur Croqué, letzte Woche hat der Fakultätsrat getagt.


„Ohne mich?


„Ich hielt es für dringend geboten, Sie als Beschuldigten nicht dazu zu laden. Dafür waren eine Vertreterin der Division Financière und der Dekan der Humanwissenschaftlichen Fakultät anwesend.“


„Na großartig.“


„Dabei kamen weitere Vorwürfe gegen Sie auf den Tisch.“


„Von der alten Garde, diesem Totholz? Das wundert mich nicht“, entgegnete Croqué mit höhnischem Grinsen.


„Ihre Spesenabrechnungen sind die höchsten der gesamten Fakultät.“


„Wundert Sie das? Ich bin ja auch ständig vor Ort. Meinen letzten Privaturlaub habe ich vor 15 Jahren gemacht. Zwei Wochen Île d’Oléron.“


„Für die Ausgrabungen in Serbien haben Sie Ihren privaten Range Rover nach Belgrad überführen lassen.“


Croqué lachte rauflustig. „Sie sollten mir dankbar sein. Hätte ich mir vor Ort etwa einen Lada mieten sollen? Was meinen Sie, wo wir da unser Lager errichtet haben? Mitten im Fels, auf 350 Metern Seehöhe. Asphaltpisten? Fehlanzeige. Alles nur Kalkstein, Kies, Lehm und Sand. Da wäre jedes andere Auto ruiniert worden.“


„Im Anschluss an diesen Forschungsaufenthalt haben Sie an eine Privatadresse in Niš, Republik Serbien, mehrmals Hygieneartikel in 20-Kilo-Paketen schicken lassen, auf Universitätskosten.“


„Hygieneartikel? Das waren Chemikalien, zu Präparationszwecken.“


„Laut Zollerklärung handelte es sich unter anderem um Waschpulver, Zahnpasta, Haarfärbemittel und Wimperntusche.“


„Ach, das haben wir bloß so deklariert, damit es auch in Serbien ankommt. Sprechen wir also nicht von Waschpulver, Haarfärbemittel und Zahnpasta, sondern von Tensiden, Wasserstoffperoxid und Silikatverbindungen. Wenn gebleicht und gereinigt werden muss, gibt es keine besseren Mittel. Und Wimperntusche eignet sich sehr gut zur Beschriftung von Fundstücken.“


„Und wer ist Vesna Smiljković?“


„Kenne ich nicht.“


„An ihre Adresse gingen diese – Chemikalien.“


„Das war eine Ortskraft. Wir haben mit einem internationalen Team von Studierenden und einheimischen Kräften gearbeitet.“


„Gut. Ich sehe, Sie weisen alle diese Ungereimtheiten zurück.“


„Was denn sonst?“


„Der Fakultätsrat hat einstimmig beschlossen, eine externe Prüfungskommission einzusetzen, die sich detailliert mit all diesen Vorwürfen auseinandersetzen wird. Man wird Sie demnächst zur Anhörung bitten.“


„Eine externe Prüfungskommission? Da weiß man ja jetzt schon, was dabei herauskommt. Da wird wieder in einem Akt der Selbstaufblähung ein trojanisches Pferd errichtet, in dem sich Leute mit ganz eingeschränktem Fokus verbergen, Ahnungslose, die ihre Existenz dadurch rechtfertigen, dass sie ein festgelegtes Budget verpulvern. Irgendwann stürzt alles wie ein Kartenhaus zusammen, aber bis dahin lassen sie es sich gut gehen. Leider fällt die Öffentlichkeit nur allzu gern auf dieses Spiel herein.“


Eine kleine Pause entstand, ehe Croqué fortfuhr. „Von mir aus sollen sich die Leute an die Arbeit machen“, sagte er schnippisch. „Ich habe nichts zu verbergen.“


„Umso besser, wenn Sie kooperieren wollen.“


„Sind wir dann fertig?“


„Noch nicht ganz. Seit gestern liegt mir ein Schreiben vor, das Sie der Unterschlagung und des Verkaufs von Institutsmaterial beschuldigt.“


Croqué beugte sich über Laroussis Schreibtisch und hämmerte wütend mit der Faust darauf. Sein Gesicht war schief und verzerrt. „Von wem stammt dieser Dreck?“


„Das werden Sie beizeiten erfahren.“


„ICH WILL ES JETZT WISSEN, SOFORT“, schrie Croqué, der entschlossen war, die Sache hier und jetzt auszufechten. „ICH SPRENGE SIE IN DIE LUFT, DIESE BANDE!“


Laroussi ignorierte ihn, nahm einen Schnellhefter in die Hand und schlug ihn auf. „Bei der letzten Revision des Knochenkellers im Untergeschoss, vor 25 Jahren, wurde festgestellt, dass die Institutssammlung etwa 300 vollständige menschliche Skelette umfasst. Vollständige, wohlgemerkt. Die Nachzählung durch Hausmeister Froeschel ergab nur noch knapp 280, und bei rund 60 fehlt der Kopf. Wie erklären Sie das?“


„Davon weiß ich nichts. Der Knochenkeller gehörte früher zur Medizinischen Fakultät. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr betreten.“


„Der Anzeigende verfügt über Beweise dafür, dass Sie vor einem halben Jahr 50 Schädel in die USA verkauft haben.“


„LÜGE! ALLES LÜGE! Ja, ich habe 50 Schädel in die USA verkauft. Aber die waren mein persönliches Eigentum, 1996 aus rumänischem Privatbesitz erworben. Ich habe noch nie fremde Sammlungsbestände zum Kauf angeboten. Das habe ich gar nicht nötig.“


„Sie scheinen ja über eine unerschöpfliche Sammlung zu verfügen. Mein Zahnarzt hat mir neulich verraten, dass Sie einen Kollegen von ihm auch mit einem Schädel beglückt haben.“


„Dr. Delpeche, auf den Sie zweifellos anspielen, hat den Schädel zu Studienzwecken erhalten. Gratis übrigens. Ich denke auch fernerhin meine Großzügigkeit walten zu lassen, falls Sie nichts dagegen haben.“


„Der Vorwurf der Unterschlagung steht dennoch im Raum und muss von Ihnen widerlegt werden“, erwiderte Laroussi ruhig.


„Zu den 50 Schädeln gibt es den Kaufvertrag von 1996, den können Sie meinetwegen auf seine Echtheit untersuchen lassen.“


„Ich nehme Ihr Angebot gern an.“

 

 
 
 

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