Auch unter den Anglern gibt es also fiese Typen. Scharoun hat davon nichts erwähnt. Vielleicht wollte er mir nicht den Mut nehmen. Im Grunde wundert es mich nicht. Man spricht ja auch von Angeln als Sport. Und Sport heißt Konkurrenzkampf. Der Kerl hat sich nicht schlechter benommen als der Dicke im Parteivorstand. Kampf um die Vorherrschaft.
Zum Glück sind da die Jungens. „Guten Tag, die Herren“, ruft Adenauer.
Die Jungen drehen sich um. „Hermann Josef!“ ruft Jakob mit fröhlich strahlendem Gesicht. „Wir haben schon drei Barsche gefangen! Willst du mal sehen?“
„Du sollst nicht Du zu Erwachsenen sagen, sondern Sie“, ermahnt ihn Andreas. „Und Herr! Und Ihnen!“
„Jajaja“, grummelt Jakob beleidigt. „Guck mal, Herr Mann Josef!“
„Er kapiert es einfach nicht“, stellt Andreas resigniert fest.
„Hier bitte“, sagt Jakob und hebt stolz den Deckel vom gelben Plastikeimer.
„Donnerwetter“, sagt Adenauer anerkennend, nachdem er einen kurzen Blick auf die Ausbeute geworfen hat. „Ich hoffe, dass ihr noch ein paar Fische für mich übriggelassen habt.“
„Warum denn, Sie? Herr Mann Josef? Willst du etwa auch angeln?“
„Was glaubt ihr, warum ich hier bin? Schaut mal, was ich habe“, sagt Adenauer und öffnet seine Aktentasche.
„Angelzeug“, stellt Andreas mit einem kurzen Blick fest.
„Ich dachte, dass ihr mir vielleicht beim Zusammenbauen helfen könnt.“
„Klar. Halt mal“, sagt Andreas und drückt seinem Bruder die Rute in die Hand.
Adenauer reicht ihm den Inhalt der Tasche, den Andreas fachmännisch kommentiert: „Eine Rute, zerlegt, Aufwinder mit Schnur, drei Vorfächer, drei Schwimmer, ein Bleigewicht, Bleischrot, ein Vierer-, ein Sechser-, ein Achter-Haken.“
„Und alles für 9 Mark 95!“, erklärt Adenauer.
„So teuer?“
„Dafür ist sie aber auch fast acht Meter lang. Also mit der Schnur zusammen. Damit kommt man doch ganz schön weit rein in den Rhein.“
„Rein in den Rhein“, wiederholt Jakob und hüpft, Andreas‘ Angel in der Hand, ein Stück Richtung Fluss. „Hahaha. Rein in den Rhein.“
Andreas steckt die drei Bambusstangen zusammen, wickelt ein Stück Schnur vom Aufwinder, zieht nach kurzer Überlegung den stabförmigen der drei Schwimmer auf und drückt, eine Handbreit unterhalb des rot und weiß gefärbten Korks, fünf von den kleinen, in der Mitte gespaltenen Bleikugeln in gleichmäßigem Abstand auf der Schnur fest zusammen. Dann nimmt er das Ende der Schnur und verbindet sie mit einem Vorfach. „Das macht man“, erklärt er, „damit man nicht die ganze Schnur verliert, wenn sie sich irgendwo verheddert. Das Vorfach ist dünner und reißt schneller. Wenn das passiert, ist nur der Haken futsch.“
Adenauer nickt anerkennend. „Das ist weitsichtige Politik. Das Risiko so klein wie möglich halten.“
Zum Schluss bindet Andreas sorgfältig den Sechserhaken ans Ende des Vorfachs, wickelt die restliche Schnur vom Aufwinder und befestigt das andere Ende an der Rutenspitze.
„Wenn Sie fertig sind, nachher“, sagt Andreas und drückt Adenauer den Aufwinder in die Hand, „haken Sie den Haken hier oben ein. Dann können Sie die ganze Schnur aufwickeln.“
„Mitsamt dem ganzen Gedöns?“
„Klar. Weil: Das Blei stört nicht. Und den Schwimmer können Sie ja verschieben, bis er genau an der richtigen Stelle sitzt. Den Aufwinder machen Sie mit einem Gummiband an das dünne Ende dran. Beim nächsten Mal geht es dann ruckzuck. – Und womit angeln Sie?“
„Wie bitte? Na, mit der Angel hier.“
Andreas lächelt. „Nein, welchen Köder haben Sie dabei?“
„Ach Gott. Weißt du was? Ich habe gar nicht an Köder gedacht. Der Verkäufer ging wahrscheinlich davon aus, dass ich die im Garten ausgrabe.“
„Wir können dir welche von unseren abgeben“, bietet Jakob an.
„Sie, Ihnen, Herr!“, verbessert ihn Andreas.
„Sie Ihnen abgeben, Herr Mann Josef“, wiederholt Jakob. „Wir haben Regenwürmer und Maden. Ganz eklige Maden, aus dem Mistbeet von Frau Rixen. Willst du die vielleicht mal sehen?“
„Ich kann mich beherrschen“, sagt Adenauer und schneidet eine Grimasse.
„Wir haben auch andere Köder“, erklärt Andreas. „Hier in dem Döschen sind Würmer. Da drin sind Fliegen.“
„Die sind aber nicht echt!“ schreit Jakob dazwischen.
„Nicht echt?“ wundert sich Adenauer.
„Nein“, bestätigt Andreas und öffnet das Döschen. „Die sind aus Plastik. Sehen Sie das kleine Loch? Da wird die Angelschnur befestigt. Dann kann man die Fliege durchs Wasser ziehen.“
„Manche Fische fallen darauf rein“, bestätigt Jakob. „Manche aber auch nicht. Das sind die Oberschlauen.“
„So, so. Und was macht man bei den Oberschlauen?“
„Für die nimmt man echte Fische.“
„Sardinen wahrscheinlich“, sagt Adenauer. „In dem Roman, den ich mal im Urlaub gelesen habe, hat ein alter Mann Sardinen als Köder genommen.“
Andreas bedenkt ihn mit einem mitleidigen Blick. „Sardinen gibt es nur im Meer. Wir nehmen kleine Weißfische.“
Das Balg hält mich für geistig zurückgeblieben, denkt Adenauer. Das habe ich jetzt davon, dass ich mit meiner Romanlektüre gestrunzt habe. „Na gut“, sagt er. „Und wie kommt ihr an die dran?“
„Wir fangen sie mit dem Netz“, erklärt Andreas.
„Das kann ich machen, Herr Mann Josef!“ schreit Jakob.
„Die werden auf den Haken gesteckt und dann lässt man sie einfach von der Strömung treiben. Darauf beißen die Großen. Hechte, Zander… Manchmal auch Barsche.“
„Und worauf soll ich angeln?“
„Ich würde sagen: auf Rotaugen.“
„Hmm. Rotaugen. Ob die bei mir anbeißen?“
„Bestimmt. Davon gibt es viele im Rhein.“
„Sind die groß?“
„So mittel.“
„Und mit welchem Köder?“
„Mit Wurm. Darauf beißen die meisten Fische.“
„Gut. Wurm ist mir am liebsten. Mit dem bin ich vertraut.“
„Wieso denn?“ fragt Jakob. „Essen Indianer Regenwürmer?“
„Nicht dass ich wüsste“, antwortet Adenauer. „Ich will damit nur sagen: Der Regenwurm ist unser Freund. Im Garten ist er sehr nützlich. Und man kann ihn gut anfassen. Er hat so gar nichts Ekliges.“
„Stimmt“, pflichtet ihm Jakob bei.
Andreas öffnet das Döschen und zieht mit zwei Fingern einen kleinen Wurm heraus, nimmt den Haken zwischen zwei Finger der anderen Hand und schiebt den Wurmkörper vorsichtig auf das goldgelb blinkende Metall.
„Das tut ihm bestimmt weh, oder?“, fragt Jakob, ohne den Blick vom Wurm zu wenden.
„Na ja“, erwidert Adenauer. „Mit Speck fängt man Mäuse. Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass Regenwürmer ziemlich robust sind. Wenn man beim Umgraben mal einen aus Versehen halbiert, werden daraus zwei neue.“
„Fertig“, verkündet Andreas und reicht Adenauer die Angelrute, die steil nach oben zeigt. „Vorsicht mit dem Haken! Sie müssen die Angel immer hochhalten, damit die Angelschnur nicht auf dem Boden schleift.“
„Danke sehr“ sagt Adenauer. Jakob und Andreas sehen ihm zu, wie er sich, den Spazierstock in der linken, die Rute in der rechten Hand, auf den Fluss zu bewegt; vor ihm in Kniehöhe pendelt das Vorfach mit dem Köder am Haken.
„Hoffentlich fange ich heute mehr als nur einen Wurm“, ruft er den Jungen über die Schulter zu.
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