top of page

13


Am ersten Ferientag feiert Schorsch oben im Haus Schönblick Geburtstag. Er wird zwölf und hat für den Nachmittag alle Kinder in seinem Alter eingeladen, auch Paul. Mama ist nach Müllheim gefahren, um Bestellungen für die Küche aufzugeben, und ich spiele vor der Scheune mit Thomas, Friedhelm Haag und Hans-Peter Jonas Ochs am Berg. Nachher kommen noch zwei Mädchen aus dem Unterdorf und wir spielen Kaiser, wie viel Schritte schenkst du mir. Ringsum ist alles still, wegen der brütenden Hitze sind überall die Fensterläden fest geschlossen.


Als ich Kaiser bin und mit dem Rücken zum Scheunentor stehe, sehe ich Papa vor der Gaststätte stehen. Er raucht eine Zigarette und schaut uns zu. Dann ruft er plötzlich und winkt. Ich hüpfe zu ihm und frage, was los ist.


Geh mal hoch zu den Molitors und sag Paul, er soll herkommen.


Aber Paul ist doch auf der Geburtstagsfeier!


Ich weiß. Hol ihn.


Warum denn?


Frag nicht, geh jetzt!


Ich laufe zum Haus Schönblick, wo die Geburtstagsgäste unter Aufsicht von Frau Molitor im Garten mit dicken Metallkugeln nach einer kleinen Holzkugel werfen. Weil niemand auf mich achtet, stelle ich mich erstmal zu den anderen und schaue zu. Als Frau Molitor mich nach einer Weile entdeckt, sage ich ihr, Papa will, dass Paul runterkommt. Paul hat keine Lust und fängt an zu maulen, aber Frau Molitor sagt, es ist bestimmt etwas Wichtiges und er soll sich beeilen, und nachher kann er auch gleich wiederkommen.


Papa sitzt im Gastgarten an einem der Tische und raucht. Wir setzen uns zu ihm.


Eure Mutter liegt im Krankenhaus, sagt er, und seine Stimme ist ohne jeden Schwung.


Warum denn?


Sie hat sich geschnitten.


Ich will wissen, wann wir sie besuchen können, und Paul will wissen, wie das passiert ist. Papa breitet hilflos die Arme aus. Na ja. Sie hat sich eben – geschnitten.


Beim Trinken an einer Flasche?


Genau.


Warum hat sie denn nicht aus einem Glas getrunken?


Ich weiß es nicht, sagt Papa.


Man soll immer aus einem Glas trinken. Hat Mama selbst gesagt.


Ja. Herrgott.


Papa will, dass wir eine Karte an Mama schreiben, und das ist der Grund, warum ich Paul von der Feier holen musste. Die Karte ist ein Foto von Mama, als sie noch ganz jung war und lange blonde Zöpfe trug. Papa schreibt als erster:


Vögisheim. Wir sind allein und denken an Dich.

Was sind wir ohne Dich?

Ein Haufen ohne Seele.

Ich möchte noch etwas hinzufügen, aber Papa meint, es ist genug, wir sollen nur noch unsere Namen darunter schreiben. Die Karte will er persönlich ins Krankenhaus bringen, damit Mama weiß, wie gern wir sie haben und sie sich ganz schnell wieder erholt.


Am Abend dürfen wir bei Herrn Metzger fernsehen, erst den Schluss von der „Abendschau“, dann „Funkstreife Isar 12“ und nach dem Abendbrot „Musik aus Studio B“ mit Chris Howland. Danach bringt uns Tante Karola ins Bett. Vor dem Schlafengehen dürfen wir uns noch aus der Tiefkühltruhe ein kleines Eis am Stiel aussuchen. Paul nimmt Erdbeer und ich nehme Schokolade, obwohl ich Erdbeer auch lieber mag, aber den Geschmack von Schokolade behält man länger im Mund als den von Erdbeer. Beim Ausziehen achte ich darauf, dass Tante Karola mich nicht nackt sieht, und jetzt bin ich froh, dass ich nicht mehr mit dem Schnuller ins Bett gehe.


0 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Warum das Kreiskulturhaus von allen Schuppen genannt wird, weiß ich nicht. Es ist ein schöner alter Tanzsaal, ein bisschen heruntergekommen, aber sonst ganz ansprechend. Die Disco stellt sich als Kind

Endlich Osterferien. Ich habe die Vorhänge aufgezogen und die Vögel gefüttert, dann die LP mit Griegs „Peer-Gynt“-Suite aufgelegt und mich in den Armsessel aus Freudenstadt gehauen und die Füße auf de

Über mein Zwischenzeugnis hat Papa sich unheimlich aufgeregt. Leider nicht wegen der Sauklaue von Ressel, der zurzeit unser Klassenlehrer ist und das Zeugnis anscheinend in aller Eile lustlos hingesch

bottom of page