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Während sie nebeneinander Richtung Ausgang schlenderten, vorbei an Reihen von Schaukästen mit in Formalin eingelegten Exponaten menschlicher Organe, Körperteile oder Missbildungen, knüpfte Croqué an Alexanders letzte Bemerkung an.


„Ein Lob aus dem Mund eines Kenners wie Ihnen bedeutet mir besonders viel. Andererseits neigen wir auch nicht dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. Der Bedeutung nach rangiert unsere Sammlung weltweit an dritter Stelle. Das will schon etwas heißen. Vor uns liegen nur Peking und London. Setzen Sie das mal in Relation zu den Einwohnerzahlen. Wir können auf 400 Jahre Präparationsgeschichte zurückblicken.“


Er wies mit ausgestrecktem Zeigefinger nach rechts.


„Haben Sie in Saal 2 die mazerierten Testikel gesehen? Wir besitzen eine Schenkungsurkunde, die besagt, dass sie von Johannes Tauler stammen. Der Mann ist 1361 gestorben!“ Er lachte dröhnend. „Aber ich glaube es nicht, für einen Theologen sind die Eier zu groß.“


Alexander kam nicht dazu, etwas zu erwidern, weil Croqué in Höchstgeschwindigkeit fortfuhr.


„Oder die beiden Gänschen. Der einen ist ein Fuß aus dem Kopf gewachsen, der andern aus dem Rücken. Die Leute denken, es seien Montagen, aber es sind astreine Monstri.“


„Oh, ich habe keinen Augenblick gezweifelt. Dazu sind die Ansatzstellen zu sauber präpariert.“


„Eine gute Arbeit?“


„Eine sehr gute.“


„Korrekt beschrieben?“


„Sehr korrekt.“


„Dann bin ich erleichtert. Denn mein Assistent hat mir heute Morgen erzählt, Sie seien unzufrieden mit unseren Expertisen.“


„Unzufrieden? Aber ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich war höchst fasziniert. Ihr Assistent sagte, sie hätten etwa 13.000 Objekte in der Sammlung. Wie viele davon sind komplette Hominiden-Skelette?“


Croqué schien die Antwort irgendwo an der Decke zu suchen. „250... vielleicht auch 280.“


„Sie wissen es nicht genau?“ gab Alexander zurück.


„Ich weiß jedenfalls, um was es sich handelt. Bei jedem einzelnen Stück. Das ist Originalmaterial von unschätzbarem Wert. Wäre es eine Privatsammlung, der Besitzer wäre vielfacher Millionär. Aber zum Glück gehört alles der Universität. – Sammeln Sie selbst auch?“ Croqués Frage kam unvermittelt.


Alexander schüttelte den Kopf. „Nein, um Gottes Willen... Ich hätte gar nicht den Platz dafür.“


„Aber vielleicht kaufen Sie manchmal etwas für andere Sammlungen an. Zum Beispiel für die Reichsuniversität Groningen?“ fragte Croqué lauernd.


„Groningen?“ wiederholte Alexander. „Ich muss erst einmal nachdenken, wo das liegt. In Deutschland?“


Croqués Gesicht hellte sich auf. „Falsch geraten. Seien Sie froh, dass Sie das nicht wissen. Ein ganz hässlicher Ort mit einer noch hässlicheren Universität. Dort sitzt einer meiner Hauptfeinde. Sie wissen ja: Jeder erfolgreiche Mensch hat Neider. Jos van Drongelen, Archäologieprofessor. Schon mal gehört?“


„Nein. Sagt mir nichts, der Name.“


„Gut. Sie sehen ja auch eigentlich ganz sympathisch aus.“


Wieder lachte Croqué dröhnend, wie ein Geschäftsmann über einen gelungenen Abschluss, und schlug Alexander kräftig auf die Schulter.


„Vergessen Sie diesen Namen. Er ist es nicht wert, dass man ihn sich merkt. Wahrscheinlich ist er auch nur der Strohmann für ganz andere Leute. Wie es auch wahrscheinlich gar nicht um mich geht. Ich bin nur der erste Stein, den man ins Rollen bringen will. Es geht um viel mehr, um unser Bild vom Menschen“, setzte er geheimnisvoll hinzu. „Aber vorher sprenge ich sie in die Luft.“


Er verzog den Mund und zeigte sein kräftiges Gebiss.


„Was glauben Sie, wie viele forensische Osteologen es in Frankreich gibt? – Zwei“, ergänzte er nach einer kurzen Pause.


Alexander war versucht, die Meinung zu äußern, dass er, Croqué, alle beide verkörpere, aber Croqué kam ihm zuvor.


„Mich und Jean-Pierre Lortholary in Marseille. Alle anderen wichtigen Leute kommen aus den USA. So wie Sie!“ Er lachte und tippte zweimal mit dem Zeigefinger auf Alexanders Brust. „Ich weiß, was ihr US-Boys von uns haltet.“


„Wirklich?“


„Ja. Ihr denkt, diese Froschfresser sind nur so lange intelligent, wie man ihre Sprache nicht versteht. Sobald man etwas davon übersetzt, ist es eine Dummheit.


„Sie tun uns unrecht.“


„Ich war vor Ort. Ich habe in Kalifornien promoviert.“

 
 
 

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