top of page

„Was soll ich machen?“ fragt Adenauer Andreas, der sich, den Kescher in der einen, den Plastikeimer in der anderen Hand, neben ihm und Jakob aufgebaut hat. „Der ergibt sich nicht so schnell. Der will nicht raus.“

 

„Raus mit Ihnen, Herr Fisch!“, brüllt Jakob in Richtung Wasseroberfläche. „Sofort!“

 

„Sei still“, keucht Adenauer und muss trotz der Anspannung ein Lachen unterdrücken. „Ich kannte wirklich mal einen Herrn Fisch“, erklärt er, ohne den Blick vom Schwimmer zu wenden. „Den wollten wir auch raushaben.“

 

Sofort ist Jakobs Neugier geweckt. „Wo denn? Hier bei uns oder in Amerika?“

 

„Erzähl ich Dir später“, sagt Adenauer, und kann doch nicht verhindern, dass sogleich das Bild des KPD-Abgeordneten Walter Fisch vor sein geistiges Auge tritt. Streng nach hinten gekämmtes Haar. Dickglasige Literatenbrille. Arrogantes Auftreten. Sah aus wie ein Politkommissar und hatte eine freche Schnauze, wie alle diese Brüder. „Konrad der Dynamische“ hat er mich einmal genannt. Wenn er auf meine Regierung zu sprechen kam, war er schnell mit dem Bonner Karneval bei der Hand. Ganz schwieriger Mensch. Wurde wegen ungehörigen Betragens für 30 Tage von den Sitzungen ausgeschlossen. Sommer 1950 war das.

 

Damals hatten wir andere Sorgen. Das FDJ-Treffen in Ostberlin. Ein Vorstoß der Roten Armee über den Rhein war im Bereich des Möglichen. Eine sowjetische Invasion, das hätte bedeutet Millionen Flüchtlinge im Westen… Die Deportation arbeitsfähiger Deutscher nach Sibirien... Wir lebten damals auf einem Vulkan. Die Lage war verteufelt ernst.

 

Der Plenarsaal, eine umgebaute Turnhalle. Von beiden Seiten fällt Tageslicht durch die hohen Fensterwände. An der Rückwand ein weißer Velourvorhang mit den Wappen der zwölf Länder, eingerahmt von gold-grünen Vorhängen für die Fensterverdunklung. Das weite Halbrund des Abgeordnetengestühls, 210 Doppelplätze, jeweils zwei schwarzlackierte Pulte mit beweglichem Deckel und zwei schwarzlackierte Klappsessel, die Armlehnen und Sitze grün gepolstert. Gegenüber die Präsidiumsbank, ihr zur Seite nach links und rechts, leicht ausgeschwungen, die Bänke für die Regierung und den Bundesrat. Alles in dunkler Eichenholztäfelung mit goldfarbenen Leisten und goldfarbenen Knöpfen. Davor, drei Stufen tiefer, oberhalb der Stenografen in ihrem halbkreisförmig abgeschrankten Bereich, KPD-Mann Fisch am Rednerpult, in einer Kakophonie von Spott und Hohn und der Glocke des Präsidenten. Als er sich einmal den Schweiß von der Stirn wischt, zittern seine Hände. Ein Märtyrer im Parteiauftrag. Jeden bösen Zwischenruf nimmt er dankbar als Nagel entgegen, der ihn an das unsichtbare Kreuz schlägt. Seine Partei hat ihn trotzdem abserviert. Abgehalftert.

 

An Adenauers Mantel wird gezupft, was ihn ein Stück in Schieflage bringt. „Herr Mann Josef?“ Es ist Jakob, der an ihm zerrt, und dessen Stimme das Bild auslöscht. Sofort ist er wieder zurück in der Gegenwart.

 

„Aufgepasst“, verkündet er entschlossen und hofft, dass die Jungen nicht merken, dass die Ermahnung lediglich ihm selbst gilt. „Jetzt geht es darum, sich auf diese Sache hier zu konzentrieren. Also, was mache ich? Ich habe Angst, die Aktion geht in die Binsen.“

 

„Aufpassen, dass die Schnur immer straff bleibt“, rät Andreas. „Vorsichtig ziehen, aber nicht zu stark. Und dann langsam zurückgehen.“

 

„Also nicht mit einem Ruck aus dem Wasser ziehen?“

 

„Nur wenn es ein kleiner Fisch ist.“

 

„Kleine Fische, das sind Bagatellen. Die interessieren uns nicht“, sagt Adenauer. „Wir kämpfen nur mit ernsthaften Gegnern. Und was ist mit dem Netz? Wofür ist das dann?“

 

„Erst muss sich der Fisch am Haken müde kämpfen. Dann zieht man ihn zu sich heran, bis man ihn mit dem Kescher aufnehmen kann.“

 

„Interessant“, sagt Adenauer. Genauso hat es auch der Fischer im Roman gemacht. Es kommt darauf an, den anderen kleinzukriegen. Er darf nicht dahinterkommen, wie schwach und unerfahren man selbst ist. Und wozu er imstande wäre, wenn er nicht aufgibt. Man muss ihn zermürben. Ihm scheinbar den Willen lassen, bis er ganz matt ist. Fix und fertig muss er sein.

 

Plötzlich spürt er Mitleid mit dem Fisch. Der Kampf ist nicht fair. Aber ich werde ihn trotzdem fangen, in seiner ganzen Kraft und Herrlichkeit. „Was du tust, das tue ganz!“ Hat mein Vater immer gesagt. Fisch, ich mag dich und ich habe großen Respekt vor dir. Aber ich werde dich besiegen, ehe dieser Tag zu Ende geht. Ich werde den Jungens beweisen, wozu ein alter Mann imstande ist.

 

Die Angel fest umklammernd, sie nun nicht mehr hebend, sondern mit ihr ziehend, geht er langsam rückwärts, sich dabei immer wieder umsehend, weil er auch auf die Beschaffenheit des Bodens achtgeben muss. Und der Fisch wehrt sich immer noch. Ab und zu steht er, doch immer, wenn er ihn dicht am Ufer zu haben scheint und heranzuziehen versucht, folgt ein wütendes Reißen und Rucken.

 

Ich glaube, ich bekomme ihn nicht.

 

Er lässt seinen Gehstock zu Boden fallen, klemmt die Rute zwischen die Beine, greift hoch bis zur Spitze, zieht mit beiden Händen die Schnur zu sich heran und geht dabei so behutsam zu Werke, als wenn er einen Speerfisch an der Angel hätte.

 

Speerfisch. So hieß der Fisch in dem Roman. Wenigstens gibt es hier keine Haie, die mir die Beute vor der Nase wegschnappen können. Und wie hieß der alte Mann? Etwa Conrado?

 
 
 

Seine Knie beginnen zu schmerzen, dazu ein stechender Schmerz in der Hüfte. Hoffen und Harren macht Manchen zum Narren. Und noch immer hält der Schwimmer unverändert seine Position, zielt mit seiner Achse auf die Rutenspitze.

 

Irgendwo muss mein großer Fisch sein. Aber vielleicht bin ich nicht so stark wie ich mir einbilde. Und ich kenne auch keine Tricks, die einem beim Angeln helfen können. Alles was ich habe ist ein starker Wille. Und Zähigkeit. Bis zu einem gewissen Grad wenigstens.

 

Dem alten Fischer hat es geholfen, dass er gebetet hat. Vaterunser und Ave-Marias, in einer Tour. Selbstgespräche hat er auch geführt. Er war ja auch mutterseelenallein. Ich hab wenigstens die Jungens.

 

Zuhause werde ich den Roman nochmal lesen. Wahrscheinlich gibt es da einen religiösen Aspekt, den ich seinerzeit nicht bemerkt habe. Bestimmt sogar. Der alte Mann ist gläubig, gut katholisch, also ist es der Verfasser auch. Das Ganze könnte eine Parabel sein. Der alte Mann ist jedenfalls eine echte Leidensfigur. Wird er nicht verhöhnt und verspottet von seinen Kollegen? Trägt er nicht Wunden davon? Die Haie sind natürlich das Böse. Und der Fisch… Der Fisch spielt im Christentum ja eine wichtige Rolle. Neben Lamm und Taube natürlich. Als Symbol für unseren Herrn und Heiland, und als Symbol für die Gläubigen.

 

In der Geschichte wechselt das Meer über den Tag seine Farbe. Himmelblau, dunkelblau, violett. Das Plankton färbt es rot, der Seetang gelb. Der Rhein sieht mehr oder weniger immer gleich grau aus. Hat wahrscheinlich mit der Tiefe zu tun. Ein Fluss ist ja nur eine Pfütze, verglichen mit dem Meer. Komisch, dass es für das Meer mehrere Ausdrücke gibt. Der Ozean. Die See. An der Nordsee sagen sie blanker Hans dazu. Der große Teich. Die Indianer nannten es das große Wasser. Für Fluss kann man auch Strom sagen. Aber damit hat es sich.

 

Auf einmal sieht es so aus, als würde der Schwimmer zittern. Es kann gar nicht anders sein: Etwas Lebendiges macht sich heimlich am anderen Ende der Schnur zu schaffen. Die sichtbare Gier. Die Gier, die blind macht gegenüber Täuschung und Verrat.

 

„Da!“ ruft er mit heiserer Stimme. „Ich glaube, da schnuppert einer am Wurm!“ Geh dran, Fisch. Geh dran. Bitte, geh dran.

 

Gebannt beobachtet er die Bewegungen des schlanken Korks, der für einen kurzen Augenblick mit ganzer Länge unter der Wasseroberfläche verschwindet, bevor er wieder in seine alte Lage zurückkehrt. Und so bleibt er auch.

 

Der Fisch wird doch nicht weg sein? Er hebt die Rute ein Stück an, aber er kann keinen Widerstand spüren. Der hatte wohl nur angefasst. Vielleicht war er früher schon einmal an einem Haken und hat sich daran erinnert. Enttäuscht richtet er sich wieder auf. Komm zurück. Riech doch mal. Lecker Wurm.

 

Ein leichtes Rucken an der Rute lässt ihn erneut aufmerken. Der Schwimmer beginnt, auf der Wasseroberfläche zu nicken und zu kreiseln.

 

„Da, er ist zurück! Er probiert es wieder!“, ruft er in Richtung der Jungen. Starr vor Spannung, mit zusammengekniffenen Augen, verfolgt er den Weg des rot-weißen Korks, der sich wie ein unruhiger Kompass hierhin und dorthin dreht, ab- und wieder auftaucht, erneut verschwindet und samt der Schnur wilde Kurven unter Wasser beschreibt, sodass die Rutenspitze mal in diese, mal in jene Richtung gelenkt wird und die Schnur mal schlaff, mal straff wie eine Bogensehne im Wasser steht. „Da! Er hat angebissen!“

 

„Ja, er hat angebissen“, freut sich Jakob neben ihm und hüpft aufgeregt hin und her. „Du bist ein Glückspilz, Herr Mann Josef!“

 

„Sie“, verbessert ihn Andreas, was Jakob mit einem beleidigten „Jaja, Herr Andreas“ quittiert.

 

„Was jetzt?“ ruft Adenauer in Andreas‘ Richtung.

 

„Kurz anschlagen!“ rät Andreas.

 

„Wie, anschlagen? Mit einem Ruck dagegenhalten?“

 

„Ja, genau.“

 

Natürlich. Man kann nicht siegen in der Defensive; man kann nur siegen in der Offensive. Er schlägt die Rute nach oben, aber seinem Anschlag folgt ein heftiges Plantschen, und mit einem Mal spürt er eine lebendige Kraft, die in die andere Richtung zieht. Die Kraft des unbekannten Gegenüber, das nicht heraus will aus seiner Welt. Muss ein gewaltiger Bursche sein, der mir an die Angel gegangen ist. Plötzlich bekommt er Angst, der Fisch könnte sich losreißen, mit oder ohne Vorfach, oder die Rute könnte durchbrechen. Er fühlt, wie sich überall auf seiner Haut ein dünner Schweißfilm ausbreitet, unter seinem Hut fängt es an zu jucken. Dann sieht er dicht unter der Oberfläche die grünlichen Schuppen eines großen Fischs blinken, und sein Puls gerät aus dem Takt.

 

„Da ist er“, schreit Adenauer. „Ein ganz großer!“ Aus den Augenwinkeln beobachtet er, wie sich Jakob eines Zipfels seines Sommermantels bemächtigt, als würde er sie beide auf diese Weise vor einem Sturz in den Fluss bewahren können.

 

„Ich komme“, ruft Andreas, zieht seine Angel ein und legt sie vorsichtig auf der Buhne ab, während Adenauer mit angehaltenem Atem den Bewegungen des Fischs folgt. Noch fester packt er die Rute, deren Spitze sich wild biegt und windet, die Leine zum Zerreißen gespannt. Wehrt sich nicht schlecht, der Bursche. Muss ein ordentlicher Karwenzmann sein. Will sein Domizil nicht aufgeben. Kann ich verstehen. Wer will das schon. Aber er muss.

 

Schlagartig überkommt ihn die Empfindung einer leichten Übelkeit. Als könne er sie auf diese Weise stoppen, legt er den Handrücken an den Mund. Das Metall am Ringfinger ist angenehm kühl an den Lippen. Das Gefühl flaut ab.

 

Ich muss so lange durchhalten wie der Fisch. Sogar ein kleines bisschen länger, wenn ich ihn besiegen will. Sich bloß nicht die Initiative nehmen lassen. Zieht, ihr Hände. Haltet durch, ihr Beine. Wie im Roman. Dann spuckt er kräftig in den Fluss, wie es der Sonderling vorhin vorgemacht hat. Was für ein kolossaler Blödmann. Hat Scharoun nicht behauptet, Angler hätten eine unzerstörbare gute Laune? Das war wohl früher so.

 

Wenn er sich nur mal zeigen würde. Der Fischer im Roman kriegt seinen Gegner wenigstens ab und an zu sehen. Ein riesiger Fisch, länger als sein Boot, mit einem langen Speer als Nase, die Schwanzflosse wie eine große Sensenklinge. Da kann er sich drauf einstellen. Ich wüsste auch gern, mit wem ich es zu tun habe. Vielleicht ist er kräftig genug, um mich mit einem Ruck ins Wasser ziehen. Ich an seiner Stelle würde es versuchen. Zum Glück bin ich nicht an seiner Stelle. Zum Glück kann er nicht wissen, dass er es mit einem alten Mann zu tun hat. Bestimmt folgt er bloß seinem Instinkt. Mit Instinkt kann ich nicht dienen. Ich brauche einen Plan, sonst verliere ich diesen Kampf. Will ich aber nicht.

 
 
 

Am Ufersaum, dort wo keine Wellen die Befestigung überspült haben, bleibt Adenauer stehen. Rechts in der Ferne quert die Dollendorfer Fähre den Fluss, und vor Mehlem gleitet ein Frachtkahn durch den Strom, dessen Bugwellen uferwärts wandern und sich schwappend an der Buhnenspitze brechen. Adenauer starrt in das schmutzig graue Wasser. Obwohl es hier an der Buhne seicht sein muss, kann er keinen Grund erkennen.

 

„Und jetzt? Einfach rein damit?“

 

„Ja“, ruft Andreas. „Und gut festhalten!“

 

Vorsichtig lässt Adenauer die Schnur ins Wasser gleiten. Sofort nimmt die Strömung den Schwimmer auf und trägt ihn, vom Wellenschlag zum Tanzen gebracht, davon.

 

„Er wird weggespült“, ruft er aufgeregt.

 

„Das macht nichts“, ruft Andreas zurück.

 

Tatsächlich treibt der Schwimmer nur so weit ab, bis er vom Ende der Schnur gebremst wird, wodurch er in Schräglage gerät.

 

Schade, denkt Adenauer. Ohne Strömung würde er jetzt ganz ruhig im Wasser stehen. Das wäre ein schönes Bild. Aber ein Fluss fließt nun mal. Von den Bergen kommt er und zieht aufs Meer zu. Das Fließen macht ja auch seine Anziehungskraft aus. Die Bewegung, die nie zum Stillstand kommt. Das Leben, das darin steckt, das wir nicht fassen können. Was treiben eigentlich die Jungens?

 

Jakob und Andreas sind nur ein paar Schritte von ihm entfernt, aber sie haben sich wieder ihrem eigenen Angelgeschäft zugewendet. Die Überzeugung, ein Stümper und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, verlässt Adenauer nicht. Verdammt, jetzt ist die Rutenspitze ins Wasser eingetaucht. Hoch damit! Kann doch nicht so schwer sein, die Angel in der richtigen Position zu halten.

 

Es heißt Angelsport. Berechtigter wäre es, von Angelspiel zu sprechen. Denn eine Schnur mit einem aufgespießten Wurm am Ende an einem Stock ins Wasser zu tauchen, hat mehr von einem Spiel als von einer Sportart. Was auch ein Glück ist. Hab keinen Spaß an Freizeitbeschäftigungen, bei denen alles bis ins Letzte festgelegt ist. Wo die Regeln das Spiel ausmachen. Deshalb spiele ich auch Boccia und nicht Schach.

 

Flussaufwärts kämpft ein Ausflugsdampfer gegen die Strömung. Die Sonne blendet, und er zieht den Hut tiefer in die Stirn. Vor ihm mitten im Fluss liegt eine langgestreckte Sandbank, an deren Rand Schafgarbe und Gänsekraut blühen. Ein Kormoran trocknet dort seine ausgebreiteten Flügel. Kleine Schwärme Mücken tanzen über dem Wasser.

 

Plötzlich ein kurzes Aufblitzen über der schattenlosen Wasserfläche. Ein Fischleib muss aus dem undurchsichtigen Wasser geschnellt sein; zu flink für seine Augen. Er ist mittendrin in einer Welt, in der es nur so wimmelt vor lauter Leben, und die er bisher nur aus Büchern kannte. Eine geheimnisvolle Welt. Wenig zu sehen, viel zu ahnen. Fische führen ein Leben im Verborgenen. Aus gutem Grund. Warum sich ohne Not im offenen Wasser zeigen? Besser, man hält sich bedeckt. Weiß das. Hab selber eine Zeitlang im Verborgenen gelebt.

 

Sein Blick schweift über die spiegelnde Fläche weiter zum gegenüberliegenden Ufer, dessen Konturen durch einen leichten Dunsthauch verschleiert sind. Zu seiner Linken teilen die Inseln Grafenwerth und Nonnenwerth den Rhein in drei Arme, rechts berühren sich Rüngsdorf und Bad Godesberg.

 

Der rot-weiße Korken verharrt weiter in seiner Schrägstellung. Kein Zweifel: Die Fische müssen auf Wanderschaft gegangen sein. Er hebt die Rute, zieht die Schnur ganz aus dem Wasser und späht nach dem Köder. Er wirkt unberührt. Von neuem setzt er den Schwimmer in den Fluss, der sofort wieder, hastig und hüpfend, flussabwärts drängt.

 

„Die Fische können dich bestimmt sehen, Herr Mann Josef“, mutmaßt Jakob.

 

„Meinst du? Von so tief unten?“

 

„Klar sehen die einen“, bestätigt Andreas. „Fische, die man sehen kann, fängt man nicht. Alte Anglerregel.“

 

„Also klein machen“, sagt Adenauer und geht ächzend in Kauerstellung, den Blick starr auf den Schwimmer gerichtet. „Unter Wasser Hören können sie am Ende auch noch. Also nur Zeichensprache verwenden. – Nein, ich hab bloß Spaß gemacht.“

 

Dieser Anglerroman. War ganz gut. Jedenfalls nicht ganz schlecht. Konnte mich sogar ein bisschen wiedererkennen in dem Romanhelden. Alt, aber gibt nicht auf, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wie hieß er noch? Armando? José? Eine Don Quixote-Gestalt. Wie ich selbst eine bin.

 

Die Geschichte weiß ich noch genau. Ein sehr alter Mann, ein Berufsfischer irgendwo am Golfstrom. Nach Monaten ohne Jagdglück geht ihm endlich ein großer Fisch an die Angel. Ein sehr großer Fisch. Viel zu groß und zu stark für ihn und sein kleines Boot. Ein kluger Angler hätte wahrscheinlich die Schnur gekappt. Klugheit ist immer gut. Auch bei Politikern. Aber Erfahrung ist noch besser. Der alte Mann ist erfahren und sehr geduldig. Drei Tage dauert der Kampf, dann hat er den Fisch besiegt. Kann sich aber nicht lange freuen, weil sich auf der Fahrt nach Hause Haie über den Fang hermachen. Kehrt deshalb am Ende mit leeren Händen zurück. Den Kampf hat er also verloren. Aber im großen, im eigentlichen Kampf, im Kampf mit dem Fisch, da hat er gesiegt.

 

In der Geschichte liegt eine tiefe Wahrheit. Es kommt nicht darauf an, immer zu gewinnen. Entscheidend ist, dass man sich der Herausforderung stellt. Sich dem Schicksal nicht kampflos überlässt. Mit Zähigkeit und Gottvertrauen durchhalten. Sich niemals unterkriegen lassen. Nur so kann man seine Würde bewahren. Wahre Größe zeigt sich darin, wie sich der Mensch in der Niederlage behauptet.

 
 
 
bottom of page